Der Stoff, aus dem die Träume waren

Zwischen Hippie-Glück und Horror-Trip: Vor 65 Jahren wurde die Droge LSD per Zufall entdeckt
Eigentlich wollte er nur ein kreislaufanregendes Artzney entwickeln. Dafür experimentierte der Schweizer Chemiker Albert Hofmann 1943 mit verschiedenen Derivaten aus dem Getreidepilz Mutterkorn. Die 25. Substanz seiner Versuchsreihe war Lysergsäurediätyhlamid, abgekürzt LSD. Hofmann ahnte noch nicht, dass er damit die stärkste Bewusstseinsdroge der Neuzeit geschaffen hatte, den Stoff, aus dem die Träume einer ganzen Generation entsprangen.
Völlig unbeabsichtigt (Hofmann später: „Ich weiß bis heute nicht wie“) muss er dabei am 16. April 1943, heute vor 65 Jahren, eine Spur dieses LSD körperlich aufgenommen haben. Die Folgen: erst Unruhe und Unwohlsein, zuhause dann für Stunden wilde, kaleidoskopartige Visionen in den intensivsten Farben.
Drei Tage später, am 19. April, unternahm er noch einmal einen, nun von Assistenten kontrollierten Selbstversuch mit LSD. Weil er danach mit dem Fahrrad nach Hause fuhr, ging dieser Tag später als „Bicycle Day“ in die Annalen der psychedelisch bewegten Hippie- und Drogenkultur ein.
In Hofmanns Protokoll dieses Selbstversuchs heißt es dabei: „Schon auf dem Heimweg mit dem Fahrrad nahm mein Zustand bedrohliche Formen an. Alles in meinen Gesichtsfeld schwankte und war verzerrt wie in einem gekrümmten Spiegel. Meine Umgebung hatte sich in beängstigender Weise verwandelt. Die Nachbarsfrau war nicht mehr Frau R., sondern eine bösartige, heimtückische Hexe mit einer farbigen Fratze...“ Der erste, protokollierte Horrortrip der LSD-Geschichte.
Stunden später aber wandelte sich dieser Alptraum plötzlich zu einem absoluten Glückserlebnis. Hofmann: „Jetzt begann ich allmählich, das unerhörte Farben- und Formenspiel zu genießen. Bunte phantastische Gebilde drangen auf mich ein, in Farbfontänen zersprühend, sich neu ordnend und kreuzend, in ständigem Fluss.“ Auch seine akustischen Wahrnehmungen steigerten sich extrem: „Jeder Laut erzeugte ein in Form und Farbe entsprechendes, lebendig wechselndes Bild.“
Eine erste Blütezeit erlebte LSD dann unter dem Namen „Delysid“ in der Medizin bei der Behandlung schwerst psychisch kranker Patienten. Später propagierten Schriftsteller wie Ernst Jünger und Aldous Huxley die bewusstseinserweiternde Wirkung der neuen „Wunderdroge“, der US-Psychologe und LSD-Fan Timothy Leary wurde in den 60er Jahren zum Propheten und obersten Guru der weltweiten Hippie-Bewegung. Legendäre Bands wie The Greatful Dead mit ihrem Pychedelic Rock und die Beatles mit LSD-Songs wie „Lucy in the Sky with Diamonds“ kultivierten den Konsum von „Acid“, wie der Stoff in der Szene genannt wurde.
Doch eine ganze Generation begeisterter, noch dazu gesellschaftskritisch eingestellter LSD-Fans – zumindest für den erzkonservativen US-Präsidenten Richard Nixon musste das eine Horrorvorstellung sein. Er betrieb – letztlich erfolgreich – Ende der sechziger Jahre ein weltweites LSD-Verbot, das Aus auch für die weitere medizinische Erforschung der Droge. Heimlich ließ er seinen Geheimdienst CIA allerdings weiter an Gefangenen und Soldaten mit LSD experimentieren. Könnte man doch mit nur einem einzigen Gramm dieses Stoffs bequem 20 000 Gegner in einen mehrstündigen Rausch versetzen. Erst einige bis heute unaufgeklärte Todesfälle bei solchen Versuchen machten auch diesen Tests ein Ende.
Doch auch Drogen unterliegen Zeitströmungen und kulturellen Einflüssen. LSD, bei der Pharmaindustrie (wie auch bei der Rauschgift-Mafia) ohnehin nie sonderlich beliebt, weil in so extrem geringen Dosen wirksam, dass damit kein großes Geschäft zu machen war, geriet in Vergessenheit. Mit der leistungsorientierten Juppie-Gesellschaft der 80er Jahre kam es zu einer Wiederentdeckung des aufputschenden Kokains, in den 90er Jahren wurde Ecstasy die Party-Droge der Techno-Kultur.
Albert Hofmann aber, der Erfinder des LSD, der heute, mit 102 Jahren, noch munter auf einer Alm im schweizerischen Jura lebt, konnte erleben, dass die medizinische LSD-Erprobung im letzten Jahr in der Schweiz wieder erlaubt wurde. Hofmann: „Das war die Erfüllung meines lebenslangen Traums.“
Fritz Janda