Der rätselhafte Schiffbrüchige: 10.000 Kilometer Odysee?
Jose Alvarenga sagt, er sei 10.000 Kilometer in einem kleinen Boot auf dem Meer getrieben. An einem Südseestrand wird er angespült. Er hat einen wilden Bart, ist aber nicht gerade ausgemergelt. Stimmt seine Geschichte? Kann man von Schildkrötenblut so gut leben?
Sydney – Der angeblich nach monatelanger Odyssee auf dem Meer im Südpazifik an Land gespülte Fischer aus Lateinamerika ist offenbar in erstaunlich guter Verfassung. Das hat Fragen über den Wahrheitsgehalt seiner Geschichte aufgeworfen. „Wir haben noch keine Gelegenheit gehabt, seine Geschichte zu verifizieren“, sagte der Außenminister der Marshall-Inseln, Gee Bing, dem australischen Sender ABC am Dienstag. Der Mann sei in der Hauptstadt Majuro schon aus dem Krankenhaus entlassen worden und warte auf seine Heimreise.
Auf einem Video, das der Sender CNN aus Majuro zeigte, ist ein Mann mit wildem Haar und Bart, aber nach allem Anschein gut genährt zu sehen. Er geht, gestützt auf einen Pfleger, auf wackligen Beinen eine Schiffsplanke hinab. „Er ist sicherlich in einer deutlich besseren Verfassung als man nach so einer Tortur erwartet hätte“, sagte der US-Botschafter Thomas Armbruster dem Sender CNN. Der Mann sagt, er sei Jose Alvarenga, 37 Jahre alt, und spreche nur Spanisch. Ein Mann aus El Salvador dieses Namens habe lange in Mexiko gelebt, bestätigten dort die Behörden. CNN sprach in El Salvador mit Julia Alvarenga, die sagte, sie habe immer gewusst, dass ihr Sohn noch lebe. Der Mann telefonierte auch mit einem Bruder in den USA.
Sicher ist bislang nur, dass er vergangene Woche mit einem kaputten Boot und nur einer zerfetzten Unterhose bekleidet auf dem Ebon-Atoll der Marshall-Inseln auftauchte. Die liegen rund 4000 Kilometer nordöstlich der australischen Stadt Cairns und 10 000 Kilometer westlich von Mexiko. Dies ist die Geschichte, die er mit Übersetzern inzwischen erzählt hat.
Sie klingt wie ein Hollywood-Drehbuch: Ein Fischer bricht an Weihnachten zusammen mit einem jugendlichen Begleiter von Mexiko aus zur Haifisch-Jagd auf, unterwegs geht der Bordmotor kaputt, hilflos treiben sie auf dem Pazifik, leben von rohem Vogelfleisch, Schildkrötenblut und eigenem Urin, sein Begleiter stirbt – aber nach über 13 Monaten strandet er relativ unbeschadet auf den Marshall-Inseln. Und doch habe es sich genau so zugetragen, versicherte José Salvador Alvarenga im Krankenhaus von Majuro, wo er wieder zu Kräften kommen soll.
Manchmal sei er so verzweifelt gewesen, dass er an Selbstmord gedacht habe, erzählt der 37-Jährige. "Sein Glaube, der Gedanke an seine Familie sowie an seine Lieblings-Tortilla habe ihn aber am Leben gehalten. Vor allem der Wunsch, seine Eltern und seine Tochter Fatima wiederzusehen, hat dem Junggesellen nach eigenen Angaben immer wieder Kraft gegeben. Sein jugendlicher Begleiter habe diesen Überlebenswillen nicht gehabt, berichtet Alvarenga mit verdüstertem Blick: "Er konnte das rohe Fleisch nicht bei sich behalten. Ich riet ihm, sich beim Essen die Nase zuzuhalten, doch nichts nützte, er erbrach alles wieder." Nach vier Monaten sei der Junge gestorben, seine Leiche habe er über Bord geworfen: "Was blieb mir anderes übrig?"
Danach habe er das Gefühl für die Zeit verloren, berichtet Alvarenga. Sein wichtigstes Ziel war es demnach, nicht zu verhungern: Er fing Schildkröten und Fische, mit der Zeit entwickelte er einiges Geschick darin, Seevögel anzulocken und mit bloßen Händen einzufangen. Auch Muscheln habe er viele gegessen. Am schwersten war es für ihn nach seiner Schilderung, als es drei Monate lang nicht regnete und er gezwungen war, seinen eigenen Urin zu trinken. Und das Blut der gefangenen Tiere. Als nach über einem Jahr schließlich das zu den Marshall-Inseln gehörende winzige Ebon-Atoll mitten im Meer auftauchte, war Alvarengas Freude unermesslich. Er sei auf ein Haus zugestürzt und habe um Hilfe gerufen. Zwei Einwohner entdeckten den nur mit einer zerfetzten Unterhose bekleideten Mann. Alvarenga hat jetzt nur noch einen Wunsch: "Ich will zurück nach Mexiko". Nach Angaben des Außenministeriums der Marshall-Inseln wird der für die Region zuständige mexikanische Botschafter auf den Philippinen die Kosten für Alvarengas Heimkehr übernehmen.
Es gibt immer wieder spektakuläre Fälle von Schiffbrüchigen, die lange Zeit auf dem offenen Meer überleben: 2006 hatte die Besatzung eines taiwanesischen Thunfisch-Kutters nahe den Marschall-Inseln drei Mexikaner gerettet. Sie waren neun Monate zuvor von der Pazifikküste ihres Heimatlandes aus zum Fischen aufgebrochen. Nach einem Motorschaden trieben sie auf das offene Meer hinaus. Während ihrer Odyssee ernährten sie sich von rohem Fisch sowie dem Fleisch von Seevögeln und tranken Regenwasser. 1992 überlebten zwei Fischer aus Kiribati 177 Tage auf hoher See, bevor sie Samoa erreichten.
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