Der neue Körperschmucktrend: Durchgucken, bitte!

Tattoo? War gestern. Wer heute hip sein will, muss schon ein bisschen mehr wagen: Riesen-Ohrlöcher zum Durchgucken, Brandzeichen, Ziernarben & Co.
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Tattoo? War gestern. Wer heute hip sein will, muss schon ein bisschen mehr wagen: Riesen-Ohrlöcher zum Durchgucken, Brandzeichen, Ziernarben & Co.

Auffallen kann ganz schön anstrengend sein. Oder langwierig. Zur Not eben schmerzhaft. Bei Melanie (24) dauerte es achteinhalb Monate. Dann hatte sie ihr Ohrläppchenloch so weit auseinandergedehnt, dass man entspannt durchgucken konnte, ohne sich Hals und Augen zu verrenken. Ein 10-Millimeter-„Fleisch-Tunnel“ aus glänzendem Titan steckt jetzt drin. Sie findet’s sexy – und, nein, damit ist sie nicht allein.

In der Piercing- und Tattoo-Szene boomt ein neuer Modetrend namens „Bodymodification“ (Körperveränderung). Da wird gedehnt, geritzt, gebrannt, gespalten und implantiert. Da entstehen Riesenlöcher in Ohren und Nasenwänden, Brandzeichen und Ziernarben auf der Haut. Da reichen schlichte Lippen- und Zungenpiercings längst nicht mehr. Cool ist, wer sich gleich die Zunge spaltet.

Wird ja auch immer schwerer, sich in der Masse der Schrägen, Wilden, Auffälligen abzuheben, seit immer mehr Normalos in Deutschland Tattoos tragen. Laut einer Studie des Medizinsoziologen Elmar Brähler von der Uni Leipzig trägt ein Viertel aller Männer und Frauen zwischen 25 und 34 Jahren eine schicke Strichelzeichnung auf Schulter, Wade oder Po. Jede dritte Frau (bis 24) und jeder zehnte Mann (bis 34) ist gepierct. „Jetzt werden die Leute halt immer extremer“, sagt Piercer Markus Otto vom Münchner Studio Antares, „vor allem die Jungen – und die, die schon alles andere haben“.

Der Weg zum großen Loch etwa ist dabei lang. Alle vier Wochen geht es, im Schnitt, in Ein-Millimeter-Schritten voran. Die Löcher werden erst mit einem Dehnstab geweitet, dann drückt man einen Stecker in erträglicher Größe nach. Ab fünf Millimetern lässt sich dann der erste kleine „Flesh Tunnel“ einsetzen – ein ringartiger Schmuck aus Edelstahl oder Horn, der einen offenen Kanal bildet. Löcher bis zu einem Zentimeter, sagen Piercer, können sich, mit ein bisschen Glück wieder zusammenziehen. Bei größeren? Geht nichts mehr.

Weshalb Ärzte und Psychologen kaum zu gewinnen sind für neuen den Dehn-Trend. Hautarzt Thomas Dirschka vom Berufsverband der Deutschen Dermatologen warnt sogar davor: „Die Haut ist wie eine Plastiktüte, am Anfang ist sie ganz glatt, aber wenn man sie einmal überdehnt hat, kommt sie nie wieder in ihre alte Form zurück.“ Auch das Einsetzen so genannter „dermal anchors“, Miniimplantate, die mit der Haut verwachsen sind, ist gefährlich, leicht kann es Entzündungen geben – und beileibe nicht alle der rund 7000 Studios in Deutschland arbeiten hygienisch einwandfrei.

Vor Extremveränderungen wie Narbenritzen mit Skalpell oder Brandings warnen sogar viele Stech-Meister selbst: „Piercings kann man rausmachen“, sagt Münchens altgedientester Piercer Randy Mikels, „aber eine Narbe oder Verbrennung bleibt drin, man muss sich das klar machen.“

Doch wer „speziell“ sein will, hört lieber weg. Vor allem Jugendliche, unter denen Intimpiercings als besonders sexy gelten, scheinen taub für Warnungen. „Vor fünf Jahren hatten wir zehn junge Mädchen pro Woche, die einen Intimschmuck haben wollten“, berichtet Mikels. „Heute sind es doppelt so viele, und viele sind nicht mal volljährig.“

Was manche Menschen dazu treibt, ihren Körper völlig zu verunstalten, erschließt sich nicht einmal den Profis unter den Bod-Mod-Experten. Wenn sich jemand Implantate als Hörner auf der Stirn einsetzen lässt. Oder Salzwasser unter die Haut gießt, um Beulen zu kriegen. Neulich sei einer da gewesen, berichtet Markus Otto, der wollte den mittleren Zeh entfernt haben. Ein Mann um die 50, ganz normal gekleidet. An einem Fuß hatte er das schon selber gemacht: „Das ist schon krass. Da kannst du nur durchatmen und den Typ heimschicken.“ Irene Kleber

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