Der mit dem Strom aus der Steckdose fährt
MÜNCHEN - E-Max heißt das Gefährt, das weder Benzin noch Diesel braucht und deshalb Umwelt und Ohren schont. Der lautlose Roller aus Oberhaching braucht nur 50 Cent auf 100 Kilometer.
Ist das Teil nun leiser als die Polizei erlaubt?
Schon am zweiten Tag bekam ich’s mit den Gesetzeshütern zu tun. Statt wie vorgeschrieben nach rechts Richtung Grünwalder Stadion abzubiegen, war ich vom Isarhochufer aus geradeaus über einen Fußgängerweg gefahren, und als sich dann ein Streifenwagen aus der Tegernseer Landstraße näherte, schob ich den Roller deutlich zu unauffällig auf die Verkehrsinsel gegenüber dem Gebrauchtwagenhändler. Dort stand ich nun, schuldbewusst, nach einer langen Party und sah das Blaulicht auf mich zukommen. Zwei Verkehrsverstöße hatten die Beamten registriert (und sonderbarerweise nur kurz gerügt), nun gingen sie das entscheidende Thema an: „Sagen Sie, ist das etwa ein Elektroroller?“
Und schon nahmen sie mich ins Verhör. Seit wann’s diesen Roller gibt? Seit wenigen Wochen. Wie schnell er fährt? Gut 45 km/h, also nicht langsamer als ein (nicht aufgemotzter) Roller mit Verbrennungsmotor. Ob er genauso anzieht wie eine Vespa? Klar, mit Hilfe des Boosters gibt’s sogar eine Extraportion Power. Wie lang die Batterien halten? Knapp 50 Kilometer. Wo man auflädt? An jeder Steckdose. Wie lange es dauert, bis die Batterien wieder voll sind? Drei bis vier Stunden. Was der Spaß kostet? Keine 50 Cent – auf 100 Kilometer! Und in der Anschaffung? Gut 3000 Euro.
Unterwegs im Dienste der Umwelt
So geht’s mir immer wieder, bei jedem zweiten Ampelhalt drängt mir jemand ein Gespräch auf. Meist sind es Vespa-Fahrer, die den Geruch von verbranntem Benzin in der Nase haben, mit lautem Knattern da stehen und sich wundern, wenn ein leiser Verwandter daherschwebt. Einer, der auch Roller fährt und doch Vögel zwitschern hört. Einer, der bei seinen Probefahrten zwischen Haidhausen und dem Westend als verhaltensauffälliger Verkehrsteilnehmer ausgemacht wird. Und auf den an der Ampel Begegnungen zwischenmenschlicher Grauzonen warten: Statt des Benzingemisches treibt den Elektroroller-Probanden ein Mix aus Neid und Mitleid an, weil der Bewunderung über den lautlosen Öko-Roller am Ende der Rotphase meist ein höhnischer Blick folgt, als wollten die Stinker röhren: „Und jetzt zeig ich Dir meinen Auspuff, Warmduscher!" Ach, Asphalt-Cowboys, knattert nur, hier antwortet die rollende Moral: „Na und, ich fang dich mit dem Stromkabel ein!“
Aber wir sind ja im Dienste der Umwelt unterwegs auf unserem elektrischen Sparmobil, mit vollem Portemonnaie (eine Vespa kostet im Verbrauch gut zehnmal so viel, etwa fünf Euro für 100 Kilometer) und reinem Gewissen (nur meine Frau macht mir ein schlechtes – weil ich vor lauter Rollerspaß kein Rad mehr fahre). Also erklären wir mit der Geduld eines Weltverbesserers dem irritiert murrenden Hausmeister im Büro und den um ihre Nebenkosten besorgten Mitmietern daheim, dass so eine Stromladung, die man für seine innerstädtischen Strecken alle drei, vier Tage brauche, weder die Firma in den Ruin stürzt noch die Nachbarn belastet, man aber darauf hoffen darf, dass es hierzulande aber bald schon – wie in England längst üblich – öffentliche Steckdosen geben wird, genauso wie es öffentliche Bedürfnis- oder Badeanstalten gibt... „Passt schon“, kommt dann meist als Antwort, allerdings klingt es wie: Jetzt spinnt er völlig!
„Die Entwicklung ist rasend schnell“
Thomas Grübel kennt solche Erlebnisse seit zehn Jahren. So lange ist es her, dass er, von einem Intermezzo als Squash-Profi aus Kanada nach München zurückgekehrt, im Biergarten saß und diese Idee hatte, die ihn seitdem nicht mehr loslässt. „Elektroroller sind das Gefährt der Zukunft“, sagt der 39-Jährige und fragt sich selbst, „wie oft ich für diesen Satz belächelt worden bin“. Nun sitzt er in einem Industriegebiet vor den Toren der Stadt und ist fast angekommen mit seinem Traum. „Elektroroller sind en vogue“, sagt der Chef der Oberhachinger Firma „e-max“, deren erster Prototyp 2001 in Serie ging, damals noch ein elektrobetriebener Scooter mit Straßenzulassung, ohne Helmpflicht bei höchstens 20 Stundenkilometer Fahrtgeschwindigkeit. 2006 folgte der erste e-max-Roller, damals noch ein umgebauter Benziner. Mit der heutigen Generation haben diese Gefährte wenig gemein, und dass sie im Oberhachinger Kolpingring dennoch weiter ihren Platz haben, lässt die Firmenhalle wie eine Mischung wirken aus Museum, Werkstatt und Forschungslabor. Neben alten und aktuellen Kisten steht schon die Zukunft: ein Roller mit Lithium-Ionen-Akku, der im kommenden Jahr in Deutschland ausgeliefert wird. Dann reicht eine Stromladung für 150 bis 180 Kilometer, bei geringerer Ladezeit als bisher.
„Die Entwicklung ist rasend schnell“, sagt Grübel und erklärt, dass heute schon Akkus, die in fünf bis zehn Minuten aufgeladen sind, technisch möglich wären, nur derzeit noch zu teuer sind. Dann erzählt er die Story aus London, wo es bereits 200 öffentliche Ladestationen gebe, „mit kostenlosem Strom, da schließen die Leute ihr Elektrofahrzeug an, gehen kurz Kaffee trinken oder einkaufen und fahren dann weiter“. Und ihm schwant’s von neuen Einnahmequellen für gebeutelte Tankstellenpächter: „Wenn die für eine Kilowattstunde Strom zwölf Cent zahlen und Ihnen dafür 25 Cent abnehmen, dann haben Sie für eine volle Ladung lächerliche 75 Cent ausgegeben, der Pächter hat aber den doppelten Preis erzielt. Das ist doch für beide Seiten ein Gewinn.“ Gewiss, auf niedrigem Niveau. „Aber uns fehlt halt die Lobby“, klagt Grübel.
„Wir kommen mit der Produktion nicht hinterher“
International sei es ganz anders. Nicht nur, weil Millionen Chinesen nicht irren können: 26 Millionen Elektroroller wurden allein im vergangenen Jahr in Shanghai produziert, aus einigen asiatischen Metropolen wurden herkömmliche Motorroller bereits verbannt. Auch unsere Nachbarn hätten die Zeichen der Zeit längst erkannt: „In Italien bekommt jeder, der seine alte Knatter verschrottet und sich einen Elektroroller kauft, 700 Euro Zuschuss, in Frankreich gibt’s für einen Neukauf bis zu 500 Euro Zuschuss vom Staat und in Holland 20 Prozent der Anschaffungskosten. Nur bei uns profitiert der Verbraucher nicht davon, wenn er sich umweltbewusst fortbewegt.“ Und so hofft der Oberhachinger Elektroroller-Pionier tatsächlich auf die Automobilindustrie, „denn wenn BMW und Mercedes ihre Elektroautos powern wollen, wird schon was passieren“.
Bis dahin freut sich Grübel über jeden kleinen Auftrag, zumal die Nachfrage derzeit ohnehin größer sei als das Angebot. „Wir kommen mit der Produktion nicht hinterher“, sagt er. Mehr als fünf- bis sechstausend Stück pro Jahr schaffen sie derzeit nicht in der neuen e-max-Fabrik, die natürlich nicht in Oberhaching steht, sondern in der Yangjian Industrial Zone in Wuxi City in der Provinz Jiangsu, 70 Kilometer von Shanghai entfernt. Der Vertrieb läuft über System Auto Parts SAP, und bestellt haben gerade erst die Österreichische Post und die Mailänder Carabinieri.
Von wegen leiser als die Polizei erlaubt: Vielleicht rollen die Ordnungshüter ja auch hierzulande bald elektrisch auf Streife. Bei der Begegnung mit den Beamten in Obergiesing jedenfalls gab’s im Anschluss an die Theorie auch noch die Praxis. Als endlich alle Details des Elektrorollers geklärt waren, musste sie doch noch gestellt werden, die Pflichtfrage: „Haben Sie Alkohol zu sich genommen?“
Selbstverständlich nicht, doch auch dass beim Pusten ins Röhrchen nullkommanull rauskam, hielt die Herren Verkehrspolizisten nicht davon ab, mir den Giesinger Berg hinunter bis in die Au zu folgen – mit heruntergekurbeltem Fenster, großen Ohren und noch größerem Staunen – darüber, dass wirklich kaum etwas zu hören war vom Roller. „Nur Radfahren ist leiser“, sagte ich noch.
Gunnar Jans