Der Kick beim Kaufen

Wie viele Menschen der Droge Konsum verfallen sind, ist unklar. Allein in München sind es 100000, die Dunkelziffer ist groß. Eine neue Langzeit-Studie klärt: Warum immer mehr Deutsche der Droge Konsum verfallen.
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Sechs bis acht Prozent der Deutschen sind kaufsüchtig.
dpa Sechs bis acht Prozent der Deutschen sind kaufsüchtig.

ERLANGEN - Wie viele Menschen der Droge Konsum verfallen sind, ist unklar. Allein in München sind es 100000, die Dunkelziffer ist groß. Eine neue Langzeit-Studie klärt: Warum immer mehr Deutsche der Droge Konsum verfallen.

Schon immer hat Sieglinde Zimmer-Fiene mehr als notwendig für ihre Familie gekauft. Doch, 1984, nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes, allein mit zwei kleinen Töchtern, wird sie maßlos. Egal, ob Klamotten, Schuhe, Spielsachen, Möbel, Blumen, Taschen – sie kauft alles, kann nie widerstehen.

„Bitte, Mama, kauf’ nichts mehr“

Anfangs, um die Trauer zu kompensieren. Doch dann wird das Shoppen zum Zwang. Obwohl die Kinder sagen: „Bitte, Mama, kauf’ nichts mehr.“ Obwohl sie die meisten Sachen hortet, im Schrank versteckt – sie kann’s nicht lassen. Sie ist kaufsüchtig. Das sind mittlerweile sechs bis acht Prozent der Deutschen, so eine Langzeit-Studie der Uni Erlangen, die am Dienstag vorgestellt wurde.

„Mit unserer Studie konnten wir erstmals eine wirksame Therapie gegen Kaufsucht wissenschaftlich nachweisen“, sagt Studienleiterin Astrid Müller. Von November 2003 bis Mai 2007 wurden 51 Frauen und neun Männer im Alter zwischen 20 und 61 Jahren behandelt. Die Hälfte davon gilt als „clean“.

Wie viele Menschen tatsächlich der Droge Konsum verfallen sind, ist unklar. Allein in München sind es 100000, die Dunkelziffer ist groß. Viele gestehen es sich lange nicht ein, schämen sich, so Experten.

„Es war jedes Mal wie ein Orgasmus“

„Es war jedes Mal wie ein Orgasmus“, so Sieglinde Zimmer-Fiene gestern in Erlangen. „Aber kaum bist aus dem Laden raus, bricht die Welt zusammen.“ Die Rechnungen häuften sich, dazu die Anzeigen der Gläubiger. „Zum Schluss kaufte ich unter dem Namen der Kinder.“

1994 wird sie festgenommen und verurteilt. Sie bekommt drei Jahre, wird beim ersten Freigang rückfällig. Aus den drei Jahren werden acht, ihre Eltern und Töchter wollen nichts mehr mit ihr zu tun haben. 2002 wird sie entlassen – mit einem Schuldenberg von 170000 Euro.

Sie gründet eine Selbsthilfegruppe: „Jeder Rückfall über den ich da ohne Vorhaltungen offen sprechen konnte, hat mich weitergebracht. Kaufsucht kommt schleichend und sie geht auch nur sehr langsam. Es ist wie Laufen lernen.“ Studien-Leiterin Astrid Müller kennt das Problem: „Es ist schwer, die Sucht selbst in Griff zu kriegen. Leider kommen viele erst, wenn sie völlig verschuldet sind.“

Ursache der Kaufsucht ist eine psychische Störung, der meist ein mangelndes Selbstwertgefühl zugrunde liegt, so die Expertin. Die Zwangseinkäufer seien sich der Sinnlosigkeit ihres Tuns bewusst, könnten aber nichts dagegen unternehmen. 90 Prozent der Betroffenen sind Frauen. Müller: „In der Regel geht es um das Lusterleben während des Kaufaktes. Doch schon beim Bezahlen treten schlechtes Gewissen und Schuldgefühle auf.“ Wegen der „stark wachsenden Kaufsuchtgefährdung“ fordert die Psychologin dringend wirksame Behandlungsangebote, die von den Kassen finanziert werden.

Andrea Uhri

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