Der große Auftritt der grauen Maus mit der goldenen Stimme

Erst lachen Jury und Publikum, doch dann fängt sie an zu singen. Wie die 47-jährige Schottin Susan Boyle mit Doppelkinn und Oma-Frisur zum Superstar einer Casting-Show wird
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Eine unscheinbare Frau vor glitzernder Kulisse: Susan Boyle bei ihrem Auftritt in der Casting-Show
dpa Eine unscheinbare Frau vor glitzernder Kulisse: Susan Boyle bei ihrem Auftritt in der Casting-Show

Erst lachen Jury und Publikum, doch dann fängt sie an zu singen. Wie die 47-jährige Schottin Susan Boyle mit Doppelkinn und Oma-Frisur zum Superstar einer Casting-Show wird

Sie ist nicht blond, nicht schlank, nicht gestylt, nicht jung, nicht schön. Aber sie kann singen. Und wie. Und darum ist die 47-jährige Susan Boyle der neue Casting-Star in Großbritannien. Mit einem einzigen Lied,vorgetragen in der Show „Britain’s got Talent“, hat sich die Arbeitslose aus Schottland in die Herzen der Menschen gesungen. Knapp 19 Millionen Mal war (am Freitagnachmittag) das bei YouTube eingestellte Video ihres Auftrittes bereits angeklickt worden.

Und sicher werden noch viele weitere Millionen verfolgen, wie das „hässlichen Entlein“ oder die „graue Maus“, wie die englische Presse titelt, zum Star mutierte.

Oma-Frisur und Doppelkinn

Der Beginn ihres Auftrittes ist wenig vielversprechend. Die Frau tritt auf die Bühne, dick, in einem cremefarbenen Kleid, mit Oma-Frisur, Doppelkinn und Theo-Waigel-Augenbrauen – ein mitreißender Show-Act ist nicht gerade zu erwarten.

Genervte Blicke bei der Jury, unverhohlenes Kichern im Publikum. Und als Juror Simon Cowell, der Dieter Bohlen des Königreichs, auch noch voller Häme fragt, warum es wohl bislang mit der Karriere nichts wurde, hat er die Lacher auf seiner Seite. Seinen Mit-Juroren ist die Verachtung auf die Gesichter geschrieben – vor allem über die selbstbewusste Ankündigung der Künstlerin: „Ich werde Euch rocken.“ Doch das ändert sich schnell.

Als Susan Boyle das Lied „I dreamed a dream“ aus dem Musical „Les Miserables“ anstimmt, reißen die Juroren die Augen auf oder lassen verblüfft das Kinn hängen. Sekunden später brandet Jubel im Saal auf, die Menschen brüllen vor Begeisterung.

"Es war ein Privileg, dir zuzuhören"

Juror Cowell lächelt verträumt, Kollegin Amanda Holden entschuldigt sich später: „Jeder war gegen Dich. Wir sind alle zynisch. Das war der größte Weckruf aller Zeiten. Es war ein Privileg, dir zuzuhören.“ Und damit dürfte Boyles Karriere nichts mehr im Weg stehen.

Die englischen Medien flippen bereits regelrecht aus. „Talent schlägt Styling“ titelt eine Zeitung. Die Geschichte vom hässlichen Entlein, das plötzlich „anmutig zwitschert wie eine Nachtigall“, ist ein wunderbarer Märchenstoff – wie in der Traumfabrik Hollywood erfunden.

Dabei ist die Protagonistin selbst gar nicht zufrieden gewesen mit ihrem Auftritt: „Es heißt ja, Fernsehen lässt einen fett aussehen. Und das stimmt auch, ich sehe wie eine Garage aus. Ich wusste nicht dass ich Menschen zu Tränen rühren kann, und ich hoffe, das lag nicht an meinem Aussehen“, sagt sie selbstironisch. Und durchaus publikumswirksam erzählt sie dann auch noch, dass sie schon als Kind wegen ihres Aussehens gehänselt wurde – und noch nie geküsst worden ist.

Erinnerungen an einen ähnlichen Auftritt vor zwei Jahren werden wach. In derselben britischen Show war der Handy-Verkäufer Paul Potts aufgetreten. Klein, untersetzt, mit schiefen Zähnen trat er an, um Opernsänger zu werden. Und damals wie heute das gleiche Muster: Aus abschätzigen Bemerkungen der Jury wurde rasende Begeisterung. Potts nahm eine Platte auf und tourt nun durch die Welt.

Warum aber haben die Briten ein Faible für solche skurrilen Stars, warum haben in Casting-Shows bei uns nur uniforme, glatte und gestylte junge Menschen eine Chance? Für den Musikmanager Thomas M. Stein ist das eine klare Sache. Zur AZ sagt er: „Das liegt nicht an den Juroren, das liegt an den Menschen selbst. Bei uns würde sich niemand, der nicht dem Massengeschmack entspricht, auf eine Bühne wagen.“ mh

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