Der "German Angst" auf der Spur

In unseren europäischen Nachbarländern reagieren die Menschen relativ gelassen auf die Ereignisse in Japan. Nur wir Deutsche kaufen Geigerzähler. Warum sind wir so furchtsam?
von  Interview Beatrice Oßberger
Anti-Atom-Demo: Die Deutschen haben Angst
Anti-Atom-Demo: Die Deutschen haben Angst © dpa

In unseren europäischen Nachbarländern reagieren die Menschen relativ gelassen auf die Ereignisse in Japan. Nur wir Deutsche kaufen Geigerzähler. Warum sind wir so furchtsam?

Die Kölner Publizistin Sabine Bode, geboren 1947, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Befindlichkeit der deutschen
Nation . 2006 erschien ihr Buch „Die deutsche Krankheit – German Angst” (Klett-Cotta-Verlag).

AZ: Die Deutschen kaufen Geigerzähler und decken sich mit Jod-Tabletten ein. Warum reagieren wir so viel stärker auf die Katastrophe in Japan als andere Nationen?

SABINE BODE: Die Katastrophe in Japan rührt in unserem kollektiven Gedächtnis etwas an, das sich über Jahrzehnte in unser Gedächtnis gebrannt hat: die Erinnerung an die Kriegsjahre und die Verelendung nach Kriegsende
. Die heutigen Bilder aus Japan ähneln in frappierender Weise denen aus Deutschland nach 1945. Diese Bilder spülen Erinnerungen hoch – und lassen uns, verkürzt gesagt, Geigerzähler kaufen.

Warum spielen diese Erlebnisse heute noch eine so große Rolle in der Befindlichkeit der Deutschen?

Weil diese traumatischen Erlebnisse so lange nicht aufgearbeitet wurden. Über Jahrzehnte hinweg gab es nur die akademische Aufarbeitung, von Historikern, von Politologen. Was erst jetzt seit kurzer Zeit stattfindet, ist die persönliche Aufarbeitung der Betroffenen. Und damit verbunden die Verarbeitung des Erlebten.

Wie können Kriegserlebnisse Generationen betreffen, die weit nach dem Krieg geboren wurden?

Diejenigen, die den Krieg, die Angst
und die Not erlebt haben, geben diese traumatischen Erfahrungen an die nächste Generation weiter. Verdünnt zwar, aber immer noch massiv genug, das sie auch diese Generation prägen. Das „Weitergeben” ist unbewusst, und zeigt sich in ganz alltäglichen Verhaltensweisen, in übertriebener Vorsicht etwa, in ständiger Wachsamkeit gegenüber dem Unbekannten, in Zukunftspessimismus.

Nun haben andere Nationen aber auch Kriegserfahrungen gemacht: Warum reagieren Franzosen, Italiener, Spanier weniger ängstlich?

Der entscheidende Faktor, der uns unterscheidet, ist das Moment der Schuld. Das Schuldgefühl hat lange verhindert, dass sich Betroffene getraut haben, über ihre persönliches Leid zu sprechen, und damit ihre Angst-Blockaden zu lösen. In anderen Ländern gibt es eine ganz andere Erzähltradition, da werden auch schreckliche Kriegsgeschichten am Familientisch erzählt, und nicht wie in Deutschland totgeschwiegen.

Entwickelte sich die „German Angst”, die im Ausland ein feststehender Begriff ist, erst aus dem zweiten Weltkrieg und nicht schon aus früheren Ereignissen?

Das lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, da fehlen uns die Daten und Zeitzeugen. Was aber sein kann ist, dass hier die generelle Mentalität der Deutschen noch mithineinspielt. Während die Amerikaner in ihrer Allgemeinheit eher optimistisch sind, neigen wir Deutschen zum Grübeln und zur Melancholie. Woher das kommt, kann ich Ihnen aber nicht sagen.

Werden wir Deutschen die German Angst jemals überwinden?

Die Angst wird sich abschwächen. Ob sie sich ganz auflösen wird, wage ich noch nicht zu sagen. 

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