Der Auftaucher

Lino von Gartzen fand den Mann, der Antoine de Saint-Exupéry abschoss. Was der Unterwasserarchäologe vom Starnberger See noch so findet und weshalb ihn die Malediven nicht interessieren - eine AZ-Reportage.
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„Wir haben einfach Glück gehabt.“ Lino von Gartzen daheim bei der Auswertung der Dateien über seinem Computer.
Siegfried Sperl 2 „Wir haben einfach Glück gehabt.“ Lino von Gartzen daheim bei der Auswertung der Dateien über seinem Computer.
Unterwasserarchäologie ist eine trübe Sache. Starke Lampen beleuchten Karten vom Grund des Starnberger Sees.
Lino von Gartzen 2 Unterwasserarchäologie ist eine trübe Sache. Starke Lampen beleuchten Karten vom Grund des Starnberger Sees.

STARNBERG - Lino von Gartzen fand den Mann, der Antoine de Saint-Exupéry abschoss. Was der Unterwasserarchäologe vom Starnberger See noch so findet und weshalb ihn die Malediven nicht interessieren - eine AZ-Reportage.

Nein, das geht nicht! „Zeigen Sie doch mal, wo das Boot lag“ war die unschuldige Frage. Aber nein, das macht Lino von Gartzen nicht. Als Unterwasser-Archäologe gibt man keine Fundorte preis, und deshalb macht auch der Mann im knallroten Tauchanzug nur eine vage Geste hinaus auf den Starnberger See. Es ist nicht das letzte Mal, dass der junge Mann mit dem ungewöhnlichen Hobby bewusst zurückhaltend bleibt. So ein bisschen im Unklaren, im Trüben sein, das gehört zur Szene, in der Lino von Gartzen gerade zur Berühmtheit aufsteigt.

Eigentlich ist ihm das gar nicht recht, sagt er später in der „Post“ in Aufkirchen, ein paar Tage, nachdem die erste Aufregung verflogen ist. Jetzt, wo das russische Fernsehen wieder weg ist und die ganzen Journalisten, die sie noch einmal hören wollten, die unglaubliche Geschichte: wie er, der 34-jährige gelernte Elektroniker aus Bayern, den Mann fand, der am 31. Juli 1944 Antoine de Saint-Exupéry abgeschossen hat, den Schriftsteller und französischen Nationalmythos. Wie er, der so gerne vor der Côte d’Azur nach Flugzeugwracks taucht, nach hunderten Telefonaten plötzlich diesen Pensionär aus Wiesbaden in der Leitung hatte: Horst Rippert, der Bruder des gerade verstorbenen Sängers Ivan Rebroff, der plötzlich sagte: „Ihre Forschungen sind beendet, ich war das damals.“

Nichts unangenehmer als der Vorwurf der Schaumschlägerei

Von Gartzen trägt nicht dick auf, seine Miene bleibt reserviert, wenn er im Wirtshaus über dem See erzählt: „Mein erster Gedanke war: Hätte er mir das bloß nicht gesagt.“ Denn, das war ihm bewusst: Jede neue Erkenntnis in dem Fall wird misstrauisch beäugt, die Beteiligten stehen schnell als Profilneurotiker da. Das schadet dem Ruf in einer Szene, in der man dringend ernst genommen werden will: „Da passte einfach alles zusammen: Ivan Rebroff! Sensation! Geheimnis gelüftet! – Das sind alle Zutaten für eine Geschichte, mit der man sich wichtig machen will“, sagt von Gartzen, „aber ich dränge mich nicht in den Vordergrund“.

Nichts wäre ihm unangenehmer als der Vorwurf der Schaumschlägerei. Schließlich ist er Mitglied in der „Bayerischen Gesellschaft für Unterwasser-Archäologie“, und die hat einen Ruf zu verlieren. Und deshalb erzählt der Mann, dessen Seebär-mäßiger Dreitagebart das jugendliche Gesicht kaum älter aussehen lässt, gerne und ausführlich: Wie er Wartungslisten verglichen hat, Einsatzpläne der deutschen Luftwaffe im besetzten Frankreich, wie er Fachmagazine durchforstete und Telefonbücher, wie er dort zunächst die Männer mit „alten“ Vornamen anrief, und wie er eines Tages, nach 1200 Anrufen, einfach nur Glück hatte: „Wir haben nichts gefunden, was Ripperts Angaben widersprach, es gibt keinen Grund, ihm nicht zu glauben.“

Das Wrack-Dorado bei Marseille

Aber noch viel lieber erzählt von Gartzen – im Hauptberuf arbeitet er für einen Patentdienstleister – von seinen Tauchgängen, von den Urlauben an der Côte d’Azur. Wo sich russische Neureiche mit alterndem Jetset und altem Geldadel um die schönsten Plätze streiten, geht von Gartzen seit Jahren in die Tiefe. „Es wimmelt dort unten von Wracks.“ Seit dem Altertum an einer wichtigen Handelsrouten gelegen, dazu geschlagen mit gefährlichen Windverhältnissen, ist die Gegend um Marseille ein Wrack-Dorado. Wobei der Taucher aus Bayern einen besonderen Geschmack entwickelt hat: Er steht auf Flugzeuge.

„Angefangen hat alles hier am Starnberger See.“ Zunächst als Segler und Schwimmer, schließlich fing er an zu tauchen, tief, immer tiefer: „Und dann hab ich das Boot gefunden.“ In 40 Metern Tiefe, an jenem geheimen Ort, den er heute nicht zeigen will, liegt der Lastkahn, der 1910 mit einer Ladung Steinschindeln unterging. Es entstand der Kontakt zur bayerischen Gesellschaft für Unterwasserarchäologie – und eine nicht ganz billige Leidenschaft. Rund 10000 Euro ist seine Ausrüstung wert: Anzug, Computer, Flaschen und Lampen. „Da unten ist es dunkel, aber klar“, sagt von Gartzen. Nur das Licht der starken Scheinwerfer dringt durchs Dunkel.

Man kann auch Glück haben

Man kann um einen Meter einen großen Fund verpassen, man kann aber auch Glück haben. „Ich habe einen der jüngsten Einbäume im Starnberger See gefunden“, erzählt er. Gerade mal 150 Jahre ist es her, dass noch Eichen ausgehöhlt wurden und der Münchner liebster Nobelsee noch eine Wasserstraße war.

Interessant schon, aber dennoch: Was reizt einen, sich da, wo’s oben so schön ist, in die nachtschwarze Tiefe zu begeben? Was ist los 50 Meter unter den Wellen, wo das Wasser nie wärmer wird als vier Grad? „Es gibt dort keine Handys, keine Termine, es ist ein freies Schweben“, sagt von Gartzen trocken. Schwärmerei ist ihm fremd. Und richtig entspannend kann es auch nicht sein. Erstens sind da die Gefahren des Tauchens, Stichwort Tiefenrausch. Und dann liegen da unten nicht nur Einbäume und Lastkähne: „Man kann Holz finden, das 3000 Jahre alt ist. Im kalten, strömungsarmen Süßwasser der bayerischen Seen wird alles perfekt konserviert“, erzählt der Taucher über seinem Weißbier.

Begegnung mit Leichen

Und, ach ja: „Ab 30 Metern Tiefe ist der Druck so groß, da bilden sich in den Leichen keine Faulgase.“ Will heißen, sie bleiben einfach unten, bis sie gefunden werden – von Lino von Gartzen zum Beispiel: Ab und zu mal ruft die Kripo an, „wenn wieder einer abgeht“, sagt er. „Ich hab eine gefunden, die lag seit 18 Jahren unten.“ Er hat eine Spezial-Ausbildung und darf bis zu 150 Meter tief tauchen. Bis auf 90 Meter war er schon. Zwei Stunden dauert allein die Dekompression, das Auftauchen aus diesen Tiefen. Das muss man mögen. Von Gartzen mag es.

„Die bayerischen Seen und Südfrankreich, das reicht mir völlig“, sagt er. „Fische und Korallen haben mich noch nie interessiert“, räumt er unumwunden ein: „Ich war noch nie auf den Malediven oder in Ägypten“, da will er auch nicht hin. Zu viele Fische, zuwenig Flugzeug-Wracks: Schiffe, naja, die gehören ja zum Wasser – „aber Flugzeuge, die passen überhaupt nicht in diese Landschaften, das ist schon ein besonderer Reiz“ – und technisch raffinierter als Einbäume sind sie allemal.

Natürlich ist es Abenteuer, Risiko, mit bloßen Händen in 60 Metern Tiefe den Sand unter einem 700 Kilo schweren Flugzeugmotor wegzubuddeln: „Der darf dir nicht auf die Flosse fallen.“ Aber Abenteurer möchte der Familienvater – Ehefrau Lena taucht auch, Töchterchen Emma ist noch zu jung – doch nicht genannt werden.

Kritik an der puren Souvenirjägerei

Ja, klar würde ich gerne einen Schatz finden“, sagt er. Aber mit den professionellen Schatzsuchern, die für ihre Schatulle unwiederbringliche Artefakte zerstören, möchte er nicht in einen Topf geworfen werden. „Wir arbeiten archäologisch, das heißt, wir lassen die Sachen da, wo wir sie finden.“ Die pure Souvenirjägerei sieht er kritisch: „Ein Fundstück allein ist nichts wert: Erst mit einer Geschichte wird es zum Schatz.“

Jetzt, wo er mit der St.-Exupéry-Geschichte seinen größten Schatz gefunden hat, was ist das nächste Projekt? „Ich würde mich gerne um Zeppeline kümmern“, sagt von Gertzen unten am Steg. Wo wären die? Er bittet doch um Verständnis: „Darüber kann ich nichts sagen.“ Und, letzte Frage: Wie viele Flugzeuge liegen eigentlich im Starnberger See? „Wenn alle Geschichten stimmen würden, dann wär’ vor lauter Flugzeugen kein Wasser mehr im See“, sagt er: „Wir wissen, dass acht reingefallen sind, eines wurde geborgen.“ Und der Rest? Lino von Gertzen macht wieder eine vage Handbewegung über den See.

MATTHIAS MAUS

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