Den Chinesen stockt der Atem

Smog-Alarm in China: Über einer Fläche, die viermal so groß ist wie die Bundesrepublik, hängt seit Wochen giftige Luft. Die Menschen leiden. Produktionsstopps und Fahrverbote helfen nicht
PEKING Morgens das Fenster aufreißen, die frische Luft reinlassen, tief durchatmen: Millionen von Menschen in China können das nicht mehr. Eine Smog-Glocke nie gekannten Ausmaßes hängt seit Tagen bleischwer über dem Osten des Landes. Auf über 1,3 Millionen Quadratkilometer erstreckt sich die Luftverschmutzung – das ist viermal die Fläche der Bundesrepublik Deutschland.
Die US-Botschaft in Peking nimmt regelmäßig eigene Luftmessungen vor, weil sie den offiziellen Verlautbarungen nicht glaubt. Deren Messgeräte können die Masse an Feinstaub gar nicht mehr erfassen: „Crazy bad“ sei die Luft über Peking.
„Es fühlt sich an wie ein langsamer Weltuntergang“, sagt Han Songyi. „Ich bin sehr besorgt. Ich habe Angst, dass alle Pekinger in ein paar Jahren tot sind“, sagt die 24-Jährige. Li Peilan, Arzt in der Notaufnahme des Boai Hospitals, berichtet von immer mehr Patienten, die mit Atembeschwerden ins Krankenhaus kommen. „Es sind zwei- bis dreimal mehr als sonst.“ Besonders Kinder, Schwangere und Alte seien gefährdet. Der Feinstaub könne zu Herz-Kreislauf-Beschwerden, Herzmuskelentzündungen und Lungenschäden führen.
China ist der größte Kohlekonsument der Welt
Inzwischen scheinen auch die Offiziellen den Ernst der Lage endlich erkannt zu haben. „Wir sollten wirksame Maßnahmen ergreifen, um Energie- und Schadstoffeinsparungen voranzutreiben“, sagte Regierungschef Wen Jiabao.
Doch Produktionsstopps für mehr als 100 Fabriken und Fahrverbote für 30 Prozent der behördlichen Dienstwagen haben bisher kaum Besserung gebracht. Viel zu viele Privatautos sind unterwegs: Alleine in der Stadt Peking ist die Zahl der Autos auf mehr als fünf Millionen angewachsen. Was westliche Autobauer jubeln lässt, sorgt in Ostchina dafür, dass viele Menschen seit Wochen die Sonne nicht mehr gesehen haben.
Noch viel schwerer ins Gewicht fallen Großindustrie und Energieproduktion. Seit 2000 hat sich Chinas Energiehunger mehr als verdreifacht. Der Kohleverbrauch hat sich laut des amerikanischen Energie-Informationsamtes jährlich um neun Prozent erhöht. Heute verbraucht China fast so viel Kohle wie der Rest der Welt zusammen – 47 Prozent. Beim CO2-Ausstoß ist das Land Spitzenreiter.
Eine seltsame Lösung hat Multimillionär Cheng Guangbiao: Er verkauft „frische Luft in Dosen“, für 5 Yuan (circa 60 Cent) pro Stück. Erhältlich sind diverse Duftrichtungen wie „unberührtes Tibet“, „postindustrielles Taiwan“ oder „revolutionäres Yan’an“. Dabei würde den meisten Chinesen frische Luft wohl schon reichen.