„Das ist unverzeihbar“
Nicht nur Rihanna – bei uns wird jede vierte Frau misshandelt. Was eine Münchnerin durchgemacht hat, schreibt sie in der AZ
Das Foto der verprügelten Rihanna schockiert: Wie kann ein Mann das tun? Vor allem: Wie kann sie zu ihrem Freund Chris Brown zurückkehren? Dabei ist Rihanna die Regel, nicht die Ausnahme. „Die wenigsten lösen sich. Sie erdulden Misshandlung über Jahre, Jahrzehnte“, sagt Marianne Wüstefeld vom Dachverband autonomer Frauenberatungsstellen. Jede Vierte wird hierzulande geschlagen, von der Migrantin bis zur Zahnarztfrau. In der AZ schildert die Münchnerin Sandra M. (49, Name geändert) ihr Schicksal:
„Das Bild von Rihanna hat mich total aufgewühlt. So ähnlich habe ich auch mal ausgesehen. Neun Jahre ist es her. Mein Mann Helmut (Name geändert), er ist in der Elektronikbranche, hat damals seinen Job verloren – von einem Tag zum anderen. Die Firma war Pleite und er am Ende – mit 52. Er steigerte sich in seinen Frust – und ich wurde sein Ventil. Je mehr ich versuchte, ihn zu trösten, auf ihn einzugehen – umso aggressiver wurde er. Er missverstand das als Mitleid. Doch ein zwei-Meter-Brocken von Mann wie er lässt sich nicht bemitleiden. Und so wehrte er sich, indem er auf mich los ging.
Nein, ich entschuldige sein Tun nicht, niemals. Aber ich kann es jetzt eher nachvollziehen. Damals hatte ich einfach nur Angst. Mal stieß er mich zu Boden, mal schlug er wie besessen auf mich ein, riss mich an den Haaren, trat nach mir. Oft hatte er ein Bier zu viel getrunken, manchmal ging’s schon nach dem Aufstehen los, wenn unser 17-jähriger Sohn aus dem Haus war.
Vor Moritz (Name geändert) versuchte er anfangs sich unter Kontrolle zu halten, aber später war es ihm wurscht. Als Moritz mich blutend zu Hause fand, rief er den Notarzt. Aus Scham deckte ich meinen Mann, sagte, ich sei ausgerutscht. Immer wieder. Warum? Ich liebte ihn trotz allem, er war der Vater meines Sohnes. Wo sollte ich ohne ihn hin? Meinen Beruf als Sekretärin hatte ich für Moritz aufgeben. Mein Familie lebte weit verstreut, wusste nichts von Helmuts Arbeitslosigkeit. Und die paar Freunde, die wir hatten, gingen davon aus, dass er schnell wieder einen Job fand. Ob sie mitbekamen, wie ich meine blauen Flecken überschminkte, weiß ich bis heute nicht. Sie fragen nicht, ich sagte nichts.
Erst, als Helmut mich so traktiert hatte, dass ich ins Krankenhaus musste, begann ich, ihn und mich mit anderen Augen zu sehen. Eine Ärztin, die meine Notlügen durchschaute, brachte mich zu einer Frauengruppe. Geschlagene Frauen wie ich. In den Gesprächen wurde mir klar, dass ich nicht, wie Helmut mir eingeprügelt hatte, die Schuldige, sondern das Opfer war.
Als Moritz zum Schüleraustausch ins Ausland ging, zog ich in ein Frauenhaus. Helmut verstand das nicht, beschimpfte mich am Telefon, lauerte mir auf. Aber eine Psychologin machte mir Mut.
Mein neues Selbstbewusstsein irritierte ihn, er änderte seine Taktik, flehte mich an, zurückzukommen, weinte. Irgendwann gab ich nach, vertraute ihm. Er hatte inzwischen wieder einen Job, alles schien gut zu werden. Bis ich ihm sagte, dass ich wieder arbeiten wollte. Da drehte er durch - ich kam mit einer Gehirnerschütterung ins Krankenhaus. Als er mit Blumen an meinem Bett stand, habe ich ihn weggeschickt.
Mittlerweile sind wir geschieden. Moritz weiß inzwischen, was Helmut mir angetan hat – und steht zu mir. Er will mit seinem Vater nichts mehr zu tun haben. „So, wie er dich behandelt hat, das ist unverzeihbar“, sagt er. Er hat Recht.
Aufgezeichnet von R. Schramm
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