Das geheime Stadtleben des Fuchses: "Er ist unser heimlicher Nachbar"

Roter Pelz, bernsteinfarbene Augen, grazile Statur - so beschreibt Wildtierbiologin Sophie Kimmig den Rotfuchs in ihrem neuen Buch "Von Füchsen und Menschen", das am Mittwoch erscheint. Kimmig heftete sich für ihre Forschung an seine Pfoten, immer den Spuren nach und beschreibt nächtliche Begegnungen - und das mitten in Berlin. Wie schafft er es bloß, in der Stadt zurechtzukommen?

AZ: Frau Kimmig, wie wirkt die Stadt durch die Fuchsbrille einer Forscherin?
SOPHIA KIMMIG: Verrückt. Wenn ich durch Berlin fahre, sehe ich überall Füchse. Ich weiß zum Beispiel, wo verschiedene Fuchsfamilien leben - das prägt die Stadt. Es ist eine zweite, parallele Stadt, die ich sehe - das Wildtier-Berlin mit eigener Einwohnerschaft.
Wo findet man noch Füchse?
Füchse findet man vom Polarkreis bis in den Norden Afrikas, unseren Rotfuchs sogar in den Städten, wobei der bis in den Polarkreis vordringt. Dass er auch in Städten zu finden ist, liegt daran, dass er so flexibel ist. Er kann sich sehr gut an verschiedene Lebensbedingungen anpassen. Wenn es nur Pflanzen gibt, frisst er überwiegend diese. Manchmal stehen Mäuse auf dem Speiseplan oder Müll. Wenn er in einem Wald wohnt, wo sandige Hänge zu finden sind, baut er Erdbauten. In der Stadt zieht der Fuchs einfach unter einen Baucontainer. Der Fuchs kommt mit fast allem klar - obwohl die Stadt ein anspruchsvoller Lebensraum ist.
An diesen Orten ist der Fuchs auch in München zu finden
Sind die Vierbeiner in jeder Stadt zu finden, in München zum Beispiel?
Oh ja, gerade in München. Die Stadtstruktur mit ihren vielen Grünflächen bietet sich an. Es gibt sie in ganz Deutschland. Sie sind ständig da - und sehr beeindruckend, wenn man sie zu Gesicht bekommt - doch keiner bemerkt sie so richtig, das ist das Spannende. Sie sind unsere heimlichen Nachbarn.
Wie gelingt ihnen das?
Der Fuchs hat das Glück, dass er nicht so groß ist und sich gut verstecken kann. Er profitiert von seiner Heimlichkeit.
Was fasziniert Sie an ihnen?
Es sind wunderschöne Tiere. Wenn man sie sieht, ist man in den Bann gezogen von ihren wunderschönen gelben Augen und ihren grazilen Bewegungen. Und auf der anderen Seite ihre Heimlichkeit.
Beschreiben Sie doch mal einen Tag auf den Fährten des rotbraunen Nachbarn.
Tagsüber sitze ich viel am Schreibtisch und werte Daten aus. Abends aktiviere ich die Fallen, die ich in Berlin verteilt habe, wenn auf der Wildkamera ein Fuchs beobachtet wurde.
"Einer meiner Füchse holt sich nachts bei Ikea gerne Hotdogs"
Was passiert, wenn einer in der Falle sitzt?
Man fährt oft raus, um einen irritierten Igel oder Waschbär zu befreien. Wenn aber ein Fuchs in der Falle sitzt, wird er besendert. Dann kann ich ihn mit meiner Antenne orten. Das Nachverfolgen des Fuchslebens besteht darin, zu erfahren, wo er sich aufhält oder sein Fressen findet und wie viel er in einer Nacht läuft - manchmal zehn Kilometer. Ich erhalte, wenn ich nah genug an ihm dran bin, eine Karte seiner GPS-Daten. So weiß ich etwa, dass einer meiner Füchse am Tempelhof nachts bei Ikea Hotdogs holt.
Kann man ihn auch als Laie zu Gesicht bekommen?
Füchse sind dämmerungs- und nachtaktiv. Wenn man früh aufsteht und durch die Stadt spaziert, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass man einen auf seinem Heimweg trifft. Auch sind sie gerne auf Friedhöfen unterwegs. Wenn man mit der S-Bahn fährt, kann man nach ihren Bauten Ausschau halten, denn sie graben gerne in Bahndammböschungen.
Was unterscheidet den Land-Rotfuchs vom Stadtfuchs?
Tatsächlich wurden in Studien optische Unterschiede festgestellt. Schädel von Stadtfüchsen sind kürzer und sie haben rundere Schnauzen. Landfüchse sind scheuer und fliehen früher, weil sie den Menschen nicht gewöhnt sind und dort gejagt werden. In der Stadt sind sie zutraulicher.
In Märchen werden sie oft als schlau aber auch als hinterlistig beschrieben - welche Eigenschaften treffen denn zu?
Aus einem persönlichen Ansatz gesprochen, würde ich sagen, der Fuchs ist sehr schlau. Er kommt im Schnee klar, in der Wüste oder in der Stadt. Sie können ihre Umwelt einschätzen. Sie sind zäh und flexibel. In den Fabeln sind die Figuren oft nicht nett, aber sie entgehen drakonischen Strafen und ziehen sich aus der Affäre. Auch im realen Leben sind sie geschickte Überlebenskünstler.

Im Buch schreiben Sie auch, Füchse seien echte Labertaschen. Was wird besprochen?
Anscheinend eine Menge und das mit den wildesten Tönen: mit lautem Bellen etwa. Verbringt man Zeit nahe einer Familie, ist das Geschnatter noch lauter. Die Welpen machen quietschende Geräusche, die Eltern antworten darauf. Die Erwachsenen untereinander sprechen wieder in anderen Tönen miteinander.
Offenbar mögen sie das Familienleben?
Das Klischee vom einsamen Fuchs, der durch die Landschaft streicht, gab es lange. Die gibt es, aber eben nicht nur. Sie scheinen ein komplexes Sozialverhalten zu haben und in der Lage zu sein, Konflikte zu lösen - alles, was man braucht, um ein soziales Lebewesen zu sein.
Fuchsjagd ist in Luxemburg verboten
Immer noch wird der Fuchs gejagt. Warum?
Füchse werden seit der Steinzeit von Menschen gejagt. Damals hatte das einen praktischen Nutzen - für den Fuchspelz. Heutzutage ist das stark umstritten. Für viele Jäger stellt das Jagen von Füchsen heute einen Anreiz, eine Herausforderung dar. Die Jagd reduziert jedoch laut vielen Studien weder das Vorkommen des Fuchsbandwurms - und Tollwut ist sowieso ausgerottet -, noch schützt sie seltene Arten in einem Gebiet. Dafür müssten massive Teile der Fuchspopulationen bejagt werden und das wird kaum getan. Die Hobbyjagd hat keinen ökologischen Nutzen. Und dann muss man sich schon fragen, warum macht man das dann? Das ist eine ethische Frage. Luxemburg hat bereits vor einigen Jahren ein Fuchsjagdverbot eingeführt.
Sophia Kimmig: "Von Füchsen und Menschen", Piper Verlag, 18 Euro.