Dalai Lama in der Instrumentalisierungsfalle

In Deutschland existiert eine Sehnsucht nach Spiritualität. Das ist ein Grund ist für die Popularität des Dalai Lama. Doch das Bild von ihm ist von Stereotypen geprägt und wird gerne für eigene Zwecke benutzt.
von  Abendzeitung
Dalai-Lama-Besuch: Viel Zuneigung, wenig Wissen
Dalai-Lama-Besuch: Viel Zuneigung, wenig Wissen © dpa

In Deutschland existiert eine Sehnsucht nach Spiritualität. Das ist ein Grund ist für die Popularität des Dalai Lama. Doch das Bild von ihm ist von Stereotypen geprägt und wird gerne für eigene Zwecke benutzt.

Müde sei er, das Bett rufe, sagt der Dalai Lama. Kein Wunder. Ist er in Deutschland, drängen viele Menschen auf ein Treffen mit ihm. Nebenbei sorgt er noch - unbeabsichtigt - für Zoff in der Regierung, weil die SPD aus Rücksicht auf China gerne auf Empfänge durch Regierungsvertreter verzichten würde.

An diesem Montag wird der 72-jährige Mönch zum Höhepunkt seiner Visite vor dem Brandenburger Tor in Berlin sprechen. Voraussichtlich rund 15.000 Menschen wollen sich von ihm erleuchten lassen. Wie erklärt sich dieser Kult um den Friedensnobelpreisträger? «Der Dalai Lama gilt als nobler Mensch; seine Spiritualität und sein Einsatz für den friedlichen Weg machen ihn zum perfekten Vorbild und Sympathieträger», sagt die China-Expertin Gudrun Wacker von der Stiftung Wissenschaft und Politik. «Die Situation in Tibet erscheint bei uns, als wehre sich ein schwacher David gegen einen übermächtigen Goliath.»

Tibet als das bessere China

Tibet werde im Westen als das «bessere China» gesehen. «Hier werden Sehnsüchte nach Spiritualität und einer Abkehr vom Materialismus erfüllt. Dafür bietet der Dalai Lama eine gute Projektionsfläche.» Rückblick: Hamburg im Sommer 2007 - mehrere Tage lang pilgern Tausende in das Tennisstadion am Rothenbaum und lauschen ihm. Bis zu 50 Euro zahlen sie für eine Tageskarte, bunte Gebetsfahnen finden reißenden Absatz, Einkaufskörbe voll mit Büchern zum Signieren werden dem Dalai Lama hingeschoben, die Menschen sind begeistert von der Einfachheit seiner Aussagen. «Äußere Schönheit kostet Geld, innere nicht», sagt er auch jetzt in Bochum. Oder: «Wahrer Weltfrieden kommt durch inneren Frieden. Äußere Abrüstung setzt innere Abrüstung voraus.» «Die Menschen nehmen ihm ab, dass er das, was er sagt, auch lebt und praktiziert», sagt der Tibet-Kenner Bruno Baumann. «In Zeiten von Vertrauenskrisen gegenüber der politischen Kaste, entwickelt eine solche Persönlichkeit umso mehr Strahlkraft.»

Viel Zuneigung, wenig Wissen

Baumann sagt aber auch, dass es viel Zuneigung gebe, doch wenig Wissen. Das sei vielfach von Stereotypen geprägt. Streng genommen gehen auch alle «Free Tibet»- Kampagnen am Thema vorbei - der Dalai Lama fordert schließlich keine Unabhängigkeit für Tibet, sondern nur kulturelle und religiöse Autonomie. Vor kurzem legte Helmut Schmidt (SPD) in der «Zeit» die seit Jahrhunderten komplexe Situation zwischen Tibet und China dar - und kritisierte damit indirekt den oberflächlichen deutschen Umgang mit Tibet. «Seine Regierung ist machtlos», schrieb der Altkanzler über den Dalai Lama.

Wenig Autorität in Tibet

«Zugleich hat in Tibet seine politische Autorität abgenommen; die Klöster und die Mönche der verschiedenen lamaistischen Sekten verehren ihn, aber sie gehorchen ihm nur noch mit großen Einschränkungen.» Die jüngsten Gewaltausbrüche in Lhasa seien trotz seiner Mahnung zur Gewaltlosigkeit geschehen. Kritiker sehen den Dalai Lama in einer Instrumentalisierungs- Falle. Der Brite Pico Iyer schreibt in seinem neuen Buch über den Dalai Lama, dass dieser zum Spielzeug von Filmstars und Millionären geworden sei. In Deutschland suchen dieser Tage besonders CDU- Politiker die Nähe zu ihm, um die Bedeutung der Menschenrechte zu unterstreichen. «Es geht natürlich auch um Wähler», sagt China- Expertin Wacker. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sieht aber gerade in diesen Treffen eine Gefahr für den begonnenen Dialog zwischen Tibetern und China.

«Perfekter Heiliger für die Wellness-Gesellschaft»

Das Interesse am Dalai Lama ist auch der Öffentlichkeitsarbeit der Tibet-Initiativen zu verdanken. Ihr deutscher Ableger rief die Bürger jüngst sogar dazu auf, ihre Wahlentscheidungen auch von der Tibet- Politik der Parteien abhängig zu machen. Rund 110.000 Tibeter leben im Exil, aber Heerscharen von Freiwilligen verbreiten weltweit ihr Anliegen. Im Internet wimmelt es von Unterstützungsgruppen, Netzwerken und Petitionen gegen Chinas Politik. Beim weltumspannenden Protest während des olympischen Fackellaufs traten sie öffentlich in Erscheinung. Kritiker fragen, warum der Dalai Lama zum Weltstar wurde, der in Deutschland laut Umfragen beliebter als der Papst ist. Harsch ging der Feuilletonist Willi Winkler in der «Süddeutschen Zeitung» mit dem Phänomen ins Gericht. «Schauspieler, deutsche B-Prominenz und andere Kulturschaffende in der ganzen westlichen Welt beten mit dem frommen Mann», schrieb er. Er sei «der perfekte Heilige für die Wellness-Gesellschaft». Der Deutsche im Jahr 2008 verstehe unter seinem Menschenrecht das haufenweise Versenden von Unterstützungs-E-Mails für Tibet. «Wieso immer nur Tibet? Wieso nicht Darfur, Russland, Tschetschenien?» (Georg Ismar, dpa)

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