Cyber-Mobbing ist neue Dimension
Die Zahl der psychisch belasteten Kinder und Jugendlichen nimmt nach Einschätzung des Nürnberger Schulpsychologen Ingo Hertzstell zu.
Nürnberg – „Ich habe den Eindruck, dass mehr Störungen auftauchen. Angststörungen, aber auch Störungen im sozialen Miteinander. Dann psychische Störungen, die familiär bedingt sind. Wir haben auch Kinder mit traumatischen Fluchterlebnissen, und mehr Kinder, die sich selbst verletzen“, berichtete Hertzstell in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa in Nürnberg.
Der Leiter der städtischen Schulpsychologie ist Anfang des Monats in den Ruhestand getreten. „Es gab vor 33 Jahren andere Probleme als heute, es gab vielleicht sogar weniger Probleme“, resümierte Hertzstell, der die Schulpsychologie in Nürnberg mitbegründet hat.
In den 80ern hätten er und seine Kollegen sich häufig mit Lernproblemen beschäftigt, inzwischen seien Internetsucht und Cyber-Mobbing wichtige Themen. Andere Phänomene, wie Okkultismus oder harte Drogen, seien zwischenzeitlich wieder verblasst.
„Wir haben heute Krisenintervention, wir haben Amokläufe, wir haben diese ganze Geschichte mit dem Fernseher, die sich weiterentwickelt hat zur PC-Welt, zum Internet“, berichtete Hertzstell. Inzwischen seien knapp 30 Prozent aller Schüler schon mal Opfer von Mobbing im Internet geworden.
„Aus der Anonymität heraus andere zu verletzen und auszugrenzen, ist eine andere Dimension geworden“, schilderte Hertzstell, der den Wegfall von früher bestehenden Grenzen beobachtet. Seine Erklärung für die Enthemmung: „Es ist ganz wichtig geworden, Teil der Peergroup (= des Freundeskreises) zu sein.
Wenn dann jemand anders ist, sich nicht der Peergroup beugt, sondern eigene Werte verfolgt, individueller ist, kann er leicht zum Opfer werden.“ Viele griffen als Mitläufer dann nicht ein, berichtete Hertzstell. „Und es gibt Jugendliche, denen es einfach Spaß macht, andere zu quälen.“
Eltern hätten oft zu wenig Einfluss auf ihren Nachwuchs. Statt Grenzen zu setzen und Konflikte mit den Kindern auszutragen, überließen sie diese Erziehungsaufgaben vermehrt der Schule. Vor diesem Hintergrund sieht Hertzstell die bestehende Ausstattung mit Schulpsychologen als „lächerlich“ an und fordert einen Kollegen je 5000 Schüler.
Aktuell liegt die Relation in Deutschland bei 1:12 500 - in Moskau bei 1:2000.
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