Coronakrise: Eine Kulturgeschichte des Klopapiers

Die Coronakrise rückt einen Gegenstand in den Fokus, der in Asien dank High-Tech-Washlets längst so gut wie überflüssig geworden ist:  Das Klopapier. Eine Kulturgeschichte.
Robert Braunmüller |
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Das Klopapier ist derzeit vermutlich der meist gekaufte Gegenstand in Deutschland.
imago/Photocase Das Klopapier ist derzeit vermutlich der meist gekaufte Gegenstand in Deutschland.

München - Warum hamstern die Leute Klopapier? Don Basilio gibt in Rossinis Oper "Der Barbier von Sevilla"darauf eine mögliche Antwort. Die Verleumdungsarie erklärt die Verbreitung von Gerüchten, die als sanftes Lüftchen beginnen und zu einem tosenden Sturm anschwellen. Das heißt: Einer füllt seinen Einkaufswagen auf, der nächste sieht es und macht’s nach. Dann setzt bei den Verkäufen – wie bei den Viren – ein exponentielles Wachstum ein.

Vom "Arschwurz" zum Stoffrest

Aber braucht man das Papier überhaupt? Immerhin schimmelt es nicht nach einer Woche blaugrün wie der ebenfalls gern gehortete Toast. Bayern von altem Schrot und Korn brauchten es ohnehin nicht. Archäologen konnten nachweisen, dass unsere keltischen Vorfahren die Blätter eines krautigen Gewächses benutzten, das auf der ganzen Nordhalbkugel verbreitet ist.

Auf Bayrisch heißt es volkstümlich Arschwurz, und weil es chemische Verbindungen enthält, die krampflösend wirken, diente es lange Zeit unter dem Namen "Pestwurz" auch als Heilmittel.

Seetang und Holzschaber als Klopapier

Im Mittelalter waren in städtischen Gegenden alte Lappen oder Stoffreste im Gebrauch – je nach Wohlstand. Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen beschreibt 1669 in seiner "Continuatio des Abentheuerlichen Simplicissimi“, wie aus einem Hanfsamen nacheinander Kleidung, Windeln, Schreibpapier und Packpapier wird, bis der Bogen schließlich am Abort endet.

Papier aus Textilabfällen und gemahlenem Holz wurde um 140 vor Jesus Christus in China erfunden. Papiertaschentücher gab es dort im zweiten Jahrhundert. Papiergeld und Toilettenpapier gab es etwa gleichzeitig um das Jahr 600 herum. Damit war China in Asien hygienisch führend. Die Japaner nutzten lange Seetang und Holzschaber, Toilettenpapier wurde erst in der Edo-Periode (1603 bis 1868) eingeführt.

Auch Papierabfälle wanderten bald auf das stille Örtchen. Der Gelehrte Yan Zhitui schrieb im Jahr 589: "Ich würde es nie wagen, Papier mit Zitaten oder Kommentaren aus den Fünf Klassikern oder Namen von Weisen darauf für die Toilette zu verwenden."Im 14. Jahrhundert sollen in der heutigen Provinz Zhejiang jährlich 10 Millionen Packungen mit je 1000 bis 10 000 Blatt Toilettenpapier hergestellt worden sein.

Der kaiserliche Hof in Nanjing verbrauchte 1393 etwa 720.000 Blatt mit einer Größe von 2 mal 3 Fuß. Kaiser Hongwu und seine Familie verbrauchten in diesem Jahr 15.000 Blatt einer besonders weichen und parfümierten Toilettenpapiersorte.

Klopapier: Die Zeitung hinter sich lassen

Unser gerolltes und perforiertes Toilettenpapier ist – wie die gedruckte Tageszeitung – ein Produkt der industriellen Papierherstellung, die sich im 19. Jahrhundert durchsetzte. Auf Rollen wird es seit etwa 1880 gewickelt. Das gleichzeitige Aufkommen von Wasserklosetts erforderte ein spezielles Papier, das Abflüsse nicht verstopft und im Abwasser rasch zerfällt.

Auch alte Zeitungen wurden lange genommen, wie der Brief des Komponisten Max Reger an einen Rezensenten belegt: "Ich sitze im kleinsten Raum des Hauses. Ihre Kritik habe ich vor mir. Bald werde ich sie hinter mir haben.“

In den Notzeiten nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg kam man wieder auf alte Zeitungen zurück, die in ärmeren Gegenden Südamerikas noch immer benutzt werden. Vor 60 Jahren verbreitete sich in Deutschland nach dem Vorbild der USA das weichere Tissue-Papier. In der DDR blieb das raue Krepppapier die einzig verfügbare Sorte – damit auch noch der letzte Arsch rot werde, wie ein berühmter Witz damals lautete. Geblümtes Westpapier bekam man gegen harte Währung im Intershop.

Es gibt Gegenden, da ist Klopapier eklig

Die gegenwärtigen Hamsterer überschätzen allerdings die weltweite Bedeutung des Klopapiers. Es gibt Weltgegenden, in denen man ohne Papier auskommt und wo man die europäische Praxis ausgesprochen eklig findet – etwa in den Golfstaaten. Und schon 851 schrieb ein Reisender über die Chinesen: "Sie sind nicht sehr sorgfältig mit Sauberkeit, und sie waschen sich nicht mit Wasser, wenn sie ihr Geschäft erledigt haben, sondern wischen sich nur mit Papier ab.“

Diese Ansicht wird auch in Asien geteilt. Deutsche finden die dort vielfach üblichen Hocktoiletten eklig, wie man sie bis heute hin und wieder noch in Südeuropa findet. In Thailand denkt man genau das Gegenteil, weil es zu keinem körperlichen Kontakt mit der Klobrille kommt.

Früher stand neben den Hocktoiletten ein Eimer, heute ist ein dünner Schlauch mit Brausekopf üblich, der auf Knopfdruck einen kräftigen Wasserstrahl von sich gibt – ideal um sich nach dem Toilettengang zu reinigen. Und wenn man sich das genau überlegt, ist im Vergleich zu dieser simplen Kombination aus WC und Bidet die deutsche Praxis mit dem Papier eine ziemliche Sauerei.

Washlets in Japan: Wer braucht noch Klopapier!?

Die Japaner entwickelten vor etwa 40 Jahren High-Tech-Toiletten mit Duschfunktion, die Washlets genannt werden. Je nach Preis bieten sie Geruchsabsaugung, Warmluftgebläse, Sitzheizung, einstellbare Wasserstrahlen, automatische Deckelöffner und und weiteren Schnickschnack. Die Bedienung erfolgt mittels Fernbedienung, die seitlich an der Toilette oder an der Wand befestigt ist und oft über Infrarot mit der Toilette kommuniziert.

Das kann einen in japanischen Hotels beim ersten Mal ziemlich überfordern. Ab der zweiten Sitzung aber begeistert die Bidetfunktion. Ob die flächendeckende Einführung von Washlets mit der japanischen "Toilettenpapier-Panik"nach der Ölkrise von 1973 zu tun hat, ist ungewiss. Damals löste, wie jetzt in Europa, das Gerücht einer zu erwartenden Verknappung Hamsterkäufe aus. Die wiederum führten zu einer Verknappung, die – wie heute in Deutschland – die Gerüchte zu bestätigen schien.

Das alles sollte uns gelassener machen. Womöglich führt die Coronakrise auch bei uns zu vermehrten Einbauten von Washlets bei Sanierungen und Neubauten. Deutsche Traditionsmarken haben sie längst im Angebot. Diese High-Tech-Toiletten sind allerdings teurer als eine simple Porzellanschüssel: zwischen 800 und 2.000 Euro.

Aber das Geld kommt durch das gesparte Klopapier langfristig wieder rein. 

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