Codename "Sven" - als Spender in einer Münchner Samenbank
MÜNCHEN - 80 Euro pro Schuss: Die Münchner Cryobank braucht dringend Männer unter 40 und über 1,80. Was die erleben, testet ein AZ-Reporter.
Was hatte ich eigentlich erwartet? Das Moulin Rouge? Rote Kissen, indirekte Beleuchtung, Duftkerzen? Jetzt stehe ich in einem kleinen, weißgekachelten Raum mit Toilette, Handtuchspender und Badezimmerspiegel. Alleine. Nur „die gierige Cindy“ und „die vernachlässigte Larissa“ sind noch bei mir. Wo soll das enden?!
Aber lieber der Reihe nach. „Recherchiere doch mal, ob die Wirtschaftskrise auch die Samenbanken betrifft“, witzelt vor Wochen mal ein Kollege. Das ernste und überraschende Ergebnis der Recherche lautet jedoch: Ja!
Das hat allerdings nichts mit wilden Spekulationen auf den internationalen Samenmärkten zu tun, sondern mit Angebot und Nachfrage: Immer mehr Paare, jedes Jahr mehrere Tausend, bei denen es auf natürlichem Weg nicht klappt, künstliche Befruchtung und andere Methoden nicht wirken, verlangen heute nach Spendersamen, um sich den Kinderwunsch zu erfüllen. Und immer weniger Männer spenden. Schwellenangst, falsche Vorstellungen von einer Art Großmolkerei, in der sich trainingshosentragende Talkshowstammgäste die verschmutze Klinke in die Hand geben, sind laut Ärzten einige der Ursachen. Die AZ macht den Selbstversuch.
Das „Material“ wird immer schlechter, klagt die Ärztin
Die größte Münchner Samenbank in Solln sucht inzwischen via Internet (www.cryobank-muenchen.de) nach Spendern. Zuerst muss ich einen Fragebogen ausfüllen, Alter (unter 40), Größe (möglichst über 1,80 Meter), Gewicht und Schulabschluss angeben, ein Foto hochladen – und abschicken!
Zwei Tage später meldet sich die Samenbank, man sei interessiert, ich soll vorbeikommen und fünf Tage vorher sexuell enthaltsam leben. Die Praxis des renommierten Münchner Gynäkologen Wolf Bleichrodt liegt im Sollner „Medicenter“, das eine Lobby wie ein Luxushotel hat. Als ich den Fahrstuhl betrete, kommt mir ein junger Mann entgegen, unsere Blicke treffen sich, und irgendwie habe ich das Gefühl, er weiß genau, warum ich hier bin. Peinlich.
Noch schlimmer fühle ich mich am Empfang. Wie immer sitzen da nur junge, hübsche Mädels. „Ich, ähm, möchte...“ Dann kommt auch schon Vera Putterlik, die Diplom-Biologin. Sie schaut mich genau an, will wissen, ob meine Haare gefärbt sind, notiert die Körpergröße, stuft mich als „athletisch-leptosom“ ein und beginnt einen erschütternden Exkurs über das perfekte Sperma, dessen Volumen (mindestens zwei Milliliter), Geruch (Kastanienblüten!), Beweglichkeit und Form. Jedes Jahr werde es schlechter, klagt sie. Warum, darüber streiten die Forscher noch. Umwelteinflüsse gelten als wahrscheinlich. Nur bei einem Drittel der Spender sei das „Material“, wie sie es mäßig liebevoll nennt, gut genug.
Jeder Spender bekommt einen Codenamen
Ich fühle mich ein bisschen unter Druck gesetzt, bin aber durch eine Nadel im Arm etwas abgelenkt: Alle Bewerber werden nämlich auf Cytomegalie, Toxoplasmose, Mucoviszidose und viele andere komische Wörter getestet.
Zum ersten Mal im Leben bekomme ich einen „Codenamen“, der Spender bleibt ja anonym, außer den Medizinern gegenüber. Frau Putterlik macht das auf ihre Weise, sucht nach Ähnlichkeiten zur Schauspielern und Sportlern. „Wir haben einen Derrick und einen Nadal“, erzählt sie nicht ohne Stolz. Ich werde „Sven“ – wegen des Skispringers. Naja.
„So, wollen Sie Zeitschriften?“ Bevor ich nach der „Bunten“ frage, wird mir klar, um was es jetzt geht. Die Biologin drückt mir noch eine „Anleitung zur Sperma-Abgabe“ in die Hand (so geht das also) und begleitet mich ins „Arbeitszimmer“, an dessen Tür das gleiche Schild hängt wie vor Hotelzimmern: „Bitte nicht stören". Was nun folgt, ist gar nicht so einfach, obwohl alles extrem sauber ist, nach den Vernichtungsfeldzügen von „General Bergfrühling“ duftet und die Animierhefte dem Sujet entsprechend gewählt sind („Maya und Anna balgen sich fast um das Sperma“).
Danach geht’s zu Dr. Wolf Bleichrodt, der mit allen Interessenten intensive Gespräche führt. Er, Typ weißhaariger Robert Redford, fragt mich nach Lebenszielen und Lieblingsfilmen. Er muss es genau wissen, sucht er doch den passenden Spender fürs Paar aus.
Wichtig sei, dass sich der „soziale Vater“ in dem Kind wiedererkenne und nicht ständig erinnert werde, dass es nicht von ihm stammt. Konkret: „Ist der Mann ein brünetter Technikfreak, kommt als Spender kein Blonder in Frage, der den ganzen Tag Hölderlin liest“, sagt Bleichrodt.
Mit 18 darf sich das Kind nach der Identität erkundigen
Nun muss ich zu seiner Tochter, der Psychologin Constanze Bleichrodt, die der attraktiven Comicfigur Betty Boop ähnelt und hier regelmäßig Träume von einem lukrativen Nebenjob zerstört. 80 Euro „Aufwandsentschädigung“ gibt’s pro Schuss (400 Euro zahlt das Paar). Nur insgesamt 12 Spenden dürfen es sein und maximal zehn Kinder entstehen, um die Wahrscheinlichkeit zu minimieren, dass sich irgendwann zufällig Geschwister verlieben.
Sie klärt mich über die rechtliche Lage auf. Kurz gesagt: Meine Identität bleibt geheim. Das Kind darf sich allerdings mit 18 Jahren, weiß es Bescheid, bei der Samenbank nach meinem Namen erkundigen. Zahlen muss ich nach bisheriger Rechtspraxis aber nicht. Vor einem deutschen Gericht hat seit Einführung der Samenspende vor rund 100 Jahren noch nie ein Kind auf Unterhalt geklagt. Die genauen Bestimmungen sind im Spendervertrag ersichtlich, den man sich in Ruhe zu Hause durchlesen sollte.
Dass ich am Ende die Recherche Recherche sein lasse, hat eher mit einem anderen Punkt zu tun: Der Spender erfährt generell nichts über die „Folgen“, ich könnte in fünf, sechs Jahren also nur mutmaßen, ob eines der Kinder auf dem Spielplatz vielleicht mein eigenes ist.
Timo Lokoschat
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