Che ist wieder chic

Ob als Ohrstecker, Gürtelschnalle oder T-Shirt. Ernesto „Che“ Guevara, der heute 80 geworden wäre, ist auch 20 Jahre nach dem Untergang des Kommunismus nicht totzukriegen. Im Moment erlebt er wieder eine Renaissance.
von  Abendzeitung
Im Trend: Ché Guevara
Im Trend: Ché Guevara © AP

Ob als Ohrstecker, Gürtelschnalle oder T-Shirt. Ernesto „Che“ Guevara, der heute 80 geworden wäre, ist auch 20 Jahre nach dem Untergang des Kommunismus nicht totzukriegen. Im Moment erlebt er wieder eine Renaissance.

Der wahre Revolutionär ist vielseitig verwendbar: als Ohrstecker zum Beispiel. Und als Ringbuch. Als Feuerzeug, Schweißband und Schlüsselanhänger. Als Satelitenschüssel, Gürtelschnalle und T-Shirt. 14029 Artikel hörten gestern bei eBay, dem Online-Auktionshaus und Gradmesser für alltagskulturelle Präsenz, auf den Namen Ernesto „Che“ Guevara.

Der Revoluzzer auf der Reste-Rampe? Muss zum 80. Jahrestag seiner Entbindung alles raus? Konterrevolutionäre Propaganda. Die meisten Artikel sind neu und erzielen zum Teil hohe Preise. Würde Kuba allein für jedes verkaufte T-Shirt einen Euro kriegen, der marode Staatshaushalt wäre wohl bald saniert.

Gisele Bündchen trägt ihn auf dem Bikini

Kriegt es aber nicht. Die Devotionalien werden überwiegend in Taiwan gefertigt, nicht einmal in China, so dass die kommunistische Kleinfamilie am Ertrag kaum partizipiert. Die größten Absatz finden die Waren im Westen. Zwischendurch etwas aus der Mode gekommen, ist Che inzwischen wieder chic.

Sein Antlitz weht über Friedensdemonstrationen am Marienplatz. Gymnasiasten nähen sich das Konterfei auf die Jacke, Supermodel Gisele Bündchen trägt es auf dem Bikini. Im Carlsen Verlag erscheint ein Comicbuch, das die Taten des Rebellen in Schwarzweiß und mit Sprechblasen nachzeichnet („Ganz ruhig Großmutter, wir tun dir nichts“). Und bei den diesjährigen Filmfestspielen von Cannes elektrisierte Steven Soderberghs „Che“ sogar ein Publikum, das sich sonst eher mit Buffet als mit Barrikaden beschäftigt. Auch fast 20 Jahre nach dem Untergang des Kommunismus ist der globalisierte Guerillero einfach nicht totzukriegen.

Obwohl sie ihn mit neun Schüssen hingerichtet haben 1967 in Bolivien, 39 Jahre war er da jung. Oder gerade deswegen. Niemand möchte sich den ewig jugendlichen „Commandante Che“ als dogmatisch-bornierten Greis vorstellen, der auf einem verarmten Eiland darüber wacht, ob das Plansoll der Schnürsenkelproduktion erfüllt wird. Tatsächlich ist Che Guevara das Schicksal von Fidel Castro erspart geblieben, der ein halbes Jahrhundert lang die Revolution auf Kuba bis zu seinem krankheitsbedingten Rückzug verwalten musste.

Trickreicher Krieger mit Sex-Appeal

So bleibt Che anders in Erinnerung: als studierter Bauernsohn, der 1956 mit einer Schar Wagemutiger auszog, Kuba von der Herrschaft eines von den USA abhängigen Diktators zu befreien. Und es auch noch schaffte. Der später alle politische Macht aufgab, um als kommunistischer Robin Hood in einem hoffnungslosen Kampf zu fallen.

Das ruft Sehnsüchte wach. Zum Beispiel, wie der Autor Hans-Christoph Buch einmal schrieb, den alten europäischen Mythos vom „edlen Wilden”, dem trickreichen Krieger mit Sex-Appeal. Der Rebell mit dem traurigen und entschlossenen Blick dient wohl auch als Projektionsfläche für Ausbruchsfantasien: alle Brücken abbrechen, alles hinter sich lassen. Der heimliche Traum vieler Doppelhaushälftenbesitzer.

Wie muss Che dann erst an der Universität wirken? Ausgerechnet hier überhaupt nicht. Die AZ schaute sich im Münchner Geschwister-Scholl-Institut (GSI) für Politikwissenschaft um, sah George Best, Donald Duck, sogar einen Mops auf den T-Shirts der Studenten – aber keinen einzigen Che Guevera. Die meisten tragen ohnehin Hemden.

Ein Kommilitone hat keine Zeit zum Interview, weil er zur Tennisstunde muss. Ein anderer denkt bei "CHE" eher an das gleichnamige Hochschulranking, bei dem das GSI heuer prima abschnitt. Und die, die eine Meinung zum Mythos Guevara haben, sind zu gut informiert, um ihn euphorisch zu sehen. Sie reden lieber über die Lager, in die er Regimegegner sperren ließ, die brutalen Morde, die er eigenhändig beging, über seine Verachtung von demokratischen Wahlen, die groben Fehler als Nationalbankchef und seine Vernichtungsphantasien während der Kuba-Krise.

Zum Glück passt das nicht in die Artikelbezeichnung bei eBay. Sonst würde der Che-Füllfederhalter (mit roter Tinte) sicher für weniger als 163,54 Euro den Revoluzzer wechseln.

Timo Lokoschat, Michèle Loetzner

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