Caramel Frappuccino with Zimt
Tall, grande oder venti? To go oder to stay? Cappu- oder Frappucino? Ohne 50:50-Joker soll schon mancher Starbucks-Kunde etwas verloren ausgesehen haben. Wie die amerikanische Kaffee-Kette mit eigener Nomenklatur die Welt erobern will
Eine Vanilla Latte für Elisabeth! Die Dame im Lodenmantel zuckt zusammen, fährt herum und blickt die lächelnde Mitarbeiterin hinter der Theke mit offenem Mund an. „Woher . . . ?“, setzt sie an.
Dann fällt’s ihr wieder ein. Vor ein paar Minuten, laut Vorschrift dürften es nicht mehr als fünf gewesen sein, wurde die 63-Jährige um ihren Namen gebeten. „Den Vornamen?“, hatte sie zurückgefragt, ein Nicken geerntet und leicht pikiert geantwortet: „Elisabeth“. „Lisa“ steht jetzt auf dem Plastikbecher. Mit Filzstift neben die Meerjungfrau geschrieben, dem Symbol der weltgrößten Kaffee-Kette Starbucks, die das bizarre Ritual vor kurzem nach Protesten wieder abgeschafft hat.
Andere sind geblieben: Wer Kandidat bei Jauch werden will, kann hier nach wie vor als Kunde trainieren. Denn wie bei „Wer wird Millionär“ gibt es zu fast jeder Frage mindestens vier Antwort-Alternativen. Nur einen Kaffee? Nun, so einfach geht das eben nicht. Was darf’s sein? Espresso? Cappuccino? Frappuccino? Oder Americano? Klein („tall“), mittel, groß? Laktosefrei? Mit Sahne oder Sojamilch? Ohne Schokostreusel? Dafür eine Prise Zimt? Haselnusssirup? Muskatnuss gar? Und, ganz wichtig: To go oder to stay? Zum Weglaufen oder Stehenlassen, oder so ähnlich. Ohne 50:50-Joker soll schon mancher Gast etwas verloren ausgesehen haben.
Das Koffein-Imperium als Teil von "Dr. Evils" Reich
Ja, es ist so herrlich einfach, diesen Kaffeekonzern durch den Kakao zu ziehen. Und so sinnlos: Die globale Aufröstung schreitet schier unaufhaltsam fort. In den letzten sieben Jahren hat sich die Zahl der Filialen auf mehr als 16000 verdreifacht. Das bedeutet, dass im Schnitt alle fünf Stunden irgendwo ein Starbucks aufmacht. 123 sind es in Deutschland, zehn in München. Nur aus der „Verbotenen Stadt“ in Peking wurde die Firma unlängst verbannt.
In der Kinokomödie „Austin Powers“ muss das amerikanische Koffein-Imperium gar als Teil von „Dr. Evils“ Reich herhalten. Und in der Zeichentrickserie „Die Simpsons“ spaziert Bart durch eine Shopping-Mall, in der fast ausschließlich Starbucks-Filialen vertreten sind. Als er ein Piercing-Studio betritt, mahnt ihn der Besitzer zur Eile: „In fünf Minuten wird aus dem Laden hier nämlich auch ein Starbucks.“
Kann man solcherlei Erwähnungen noch als popkulturellen Ritterschlag interpretieren, gibt es andere Geschichten, die Starbucks derzeit mehr Kopfzerbrechen bereiten: Sie handeln von Kaffeebauern in der Dritten Welt, die sich vom Kaffee-Multi ausgebeutet fühlen. Oder von Starbucks-Mitarbeitern, denen es ähnlich geht: Die Gewerkschaften werfen dem Unternehmen vor, nur Niedrigstlöhne zu bezahlen. „Ungefähr acht Euro pro Stunde“, präzisiert eine Angestellte in einer Münchner Filiale, flüsternd und sich umschauend.
Der abgebrühte Erlöser kehrt zurück - und dampft Jobs ein
Dabei sind die Ansprüche des Konzerns hehr und hochmoralisch: Ziel sei es, „einen dritten Lebensraum zwischen Büro und Wohnung“ zu schaffen, formulierte einst der Firmengründer Howard Schultz. Es gelte, Starbucks zu einer Marke zu machen, „die den menschlichen Geist inspiriert und nährt“. Klingt fast nach Tom Cruise.
Heuer kehrte der abgebrühte Erlöser überraschend aus dem Ruhestand an die Firmenspitze zurück – und dampfte hunderte Jobs ein. Grund: In den USA stagniert das Geschäft erstmals seit der Gründung 1971, als Schultz sein Volk von der Pulver-Plörre befreite. Heute treten sich die Filialen oft schon gegenseitig auf die Füße.
Wie erfolgreich die Mühlen hierzulande mahlen, will das Unternehmen nicht verraten. Mag die Betriebsphilosophie noch so amerikanisch sein: Die Kommunikationspolitik mutet zwar freundlich, aber doch etwas nordkoreanisch an. Die AZ darf ihre Fragen nur schriftlich einreichen. Erst nach Tagen gibt es die wachsweichen Statements, meist werden „aus unternehmenspolitischen Gründen“ keine Angaben gemacht. Auskünfte am Telefon? Sorry. Es sei halt eine amerikanische Firma, wird erläutert. Andere US-Unternehmen, wie etwa McDonald’s, treten jedoch weit souveräner auf, stellen sich Journalisten auch im Gespräch, das Nachfragen und -haken zulässt.
Kulturkritiker warnen vor Barbarei und Plörre
Dabei hat der Riesen-Röster eigentlich allen Grund zu Selbstbewusstsein, befreite er den Kaffee hierzulande doch aus dem spießigen Ghetto der Melitta-Papis und Genießer-Gräfinnen, die Menschen unter 100 Jahren eher einen radikalen Koffeinverzicht nahelegten. Was immer man ernährungsphysiologisch und umweltpolitisch auch einwenden mag: Die Plastikbecherchen mit der putzigen Saugöffnung gehören heute zum Stadtbild, stilisieren ihre Träger zu Genießern unter Zeitdruck.
Barbarei sei das und Plörre, mahnen kulturkritisch Beflissene. In Kontrollen schneidet Starbucks allerdings seit Jahren immer wieder hervorragend ab. Zuletzt im Mai bei einer Studie des „Deutschen Instituts für Service-Qualität“: Starbucks punktete vor allem in Sachen Bohnen und Freundlichkeit. Andernorts zur Grandezza verklärte Patzigkeit fanden die Tester dagegen lau.
Was bei Starbucks nervt, ist eher der kaffeepädagogische Ansatz, der Über-Anspruch, sind die naturfarbenen Faltblättchen. Wer allen Ernstes meint, dass er mit einem Caramel Frappuccino to go die Welt ein bisschen besser macht, glaubt wohl auch, dass Krombacher saufen den Regenwald rettet.
Timo Lokoschat
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