«Cap Arcona»-Katastrophe: Wie kam es zum Unglück?

Hamburg - Die ersehnten Befreier brachten vor 70 Jahren den Tod: Britische Bomber attackierten am 3. Mai 1945 mehrere deutsche Schiffe in der Lübecker Bucht. Getroffen wurden auch die "Cap Arcona" und die "Thielbek" mit zusammen rund 7000 Häftlingen aus dem KZ Neuengamme an Bord. Die "Cap Arcona", ein ehemaliges Luxusschiff, geriet in Brand und legte sich auf die Seite. Auch der Frachter "Thielbek" kenterte. Etwa 6600 Häftlinge verbrannten, ertranken in der kalten Ostsee oder wurden beim Versuch, sich zu retten, erschossen, wie die KZ-Gedenkstätte Neuengamme berichtet. Doch ob tatsächlich die Briten der "Cap Arcona" den vernichtenden Schlag versetzten oder die SS das Schiff sprengte, ist bis heute nicht endgültig geklärt.
Die Royal Air Force hielt die schwimmenden Gefangenenlager für Marineschiffe und legitime Angriffsziele. Eine Warnung des Schweizer Roten Kreuzes hatte die britischen Befehlshaber nicht mehr rechtzeitig erreicht, wie der Neustädter Historiker Wilhelm Lange recherchierte. Am Vortag des Angriffs hatte die britische Luftaufklärung eine Reihe von deutschen Kriegsschiffen beobachtet, die den Hafen von Neustadt in Holstein verließen. Der Luftangriff auf diese Ziele auf der Ostsee wurde für den nächsten Tag geplant. Die "Cap Arcona" und die "Thielbek" seien nicht gekennzeichnet gewesen und bei diesem Angriff ins Visier geraten.
Hatten die Nazis den Alliierten "eine Falle zur Vernichtung der Häftlinge" gestellt, wie Lange meint? Sollten die Gefangenen so oder so den Tod finden? Die SS-Führung verfolgte eindeutig das Ziel, die Häftlinge nicht in die Hände der Alliierten fallen zu lassen, sagt auch Herbert Diercks von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Rund 10 000 Häftlinge wurden nach seinen Angaben in Güterzügen nach Lübeck gebracht. 9000 von ihnen ließ die SS auf drei beschlagnahmten Schiffen zusammenpferchen, neben der "Cap Arcona" und der "Thielbek" noch ein weiterer Frachter, die "Athen". Die Zustände auf den überfüllten Schiffen seien grauenhaft gewesen. Es gab kaum Luft, Wasser und Essen.
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Unterdessen stand das Schwedische Rote Kreuz weiter in Verhandlungen mit der SS. Deren "Reichsführer" Heinrich Himmler hatte im März 1945 erlaubt, dass alle dänischen und norwegischen KZ-Gefangenen in Neuengamme gesammelt und am 20. April mit Bussen nach Schweden in die Freiheit gebracht wurden. Auch mehrere Hundert andere Häftlinge konnten die Skandinavier noch am 30. April im Raum Neustadt retten.
Diercks glaubt nicht, dass die SS die Schiffe versenken wollte. Dafür seien keine Vorkehrungen getroffen worden, obwohl die Schiffe tagelang in der Bucht lagen. Von der überfüllten "Cap Arcona" seien 2000 Häftlinge sogar wieder von Bord genommen worden. Nur die in Neustadt stationierte Kriegsmarine wäre nach Ansicht von Diercks in der Lage gewesen, die Schiffe zu versenken, und die ganze Stadt wäre Zeuge des Verbrechens geworden. Gegen die Absicht, die Schiffe zu versenken, spreche auch, dass sich an Bord noch 450 Mitglieder von Besatzung und Wachmannschaften befanden, darunter eine ganze Kompanie der Kriegsmarine mit 280 Soldaten.
"Dass alle umgebracht werden sollten, das ergibt überhaupt keinen Sinn", betont Diercks. Wenn der Befehl von Himmler, keinen Häftling lebend in die Hände des Feindes fallen zu lassen, hätte vollstreckt werden sollen, dann wäre das am leichtesten im KZ-Neuengamme zu machen gewesen.
Lange widerspricht. Zum Zeitpunkt des britischen Angriffs seien keine SS-Leute mehr an Bord gewesen. Bei den Soldaten der Marineartillerie habe es sich um Volkssturmleute gehandelt, die Hitler auch anderswo geopfert habe. Die Rettungseinrichtungen an den Schiffen waren entfernt oder unbrauchbar gemacht worden, die Restbesatzung hatte sich aber einige wenige Rettungsboote längsseits vorbehalten. Eine technische Untersuchung der Briten ergab nach Angaben von Lange, dass die "Cap Arcona" von innen heraus explodiert sei, und zwar in einem Bereich, der nicht bei dem Luftangriff getroffen wurde. "Ich habe die Belege", ist sich Lange ganz sicher. Allerdings räumt auch er ein: "Das sind immer Indizien. Das ist das Problem."
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