Interview

Brennpunkte der Pflege: "Was ist es uns wirklich wert?"

Edith Dürr von der Schwesternschaft München über die Brennpunkte der Pflege - und die Suche nach einem guten Heim.
Lisa Marie Albrecht
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Eine Altenpflegerin betreut einen älteren Mann in einem Seniorenheim.
Eine Altenpflegerin betreut einen älteren Mann in einem Seniorenheim. © imago/Jochen Tack

AZ-Interview mit Edith Dürr. Sie ist seit 2006 Generaloberin der Schwesternschaft München vom Bayerischen Roten Kreuz. Zudem ist sie Vorsitzende des Bayerischen Landespflegerats.

Edith Dürr.
Edith Dürr. © BLPR

AZ: Frau Dürr, in der Corona-Krise haben Politiker und Mediziner immer wieder vor einer drohenden Überlastung der Intensivstationen gewarnt - hat sich die Lage in Bayern inzwischen beruhigt?
EDITH DÜRR: Wir hatten ja schon vor Corona die Problematik auf den Intensivstationen, dass wir zu wenig Fachpersonal hatten. Als Reaktion darauf gab es die Corona-Zuschüsse von Gesundheitsminister Spahn, mit denen jede Klinik pro zusätzlichem Intensivbett eine Summe von 50.000 Euro erhält. Aber damit hat sich ja der Fachkräftemangel nicht gelöst. Die Kliniken haben in der Zeit des totalen Lockdowns, als das ganze elektive Geschäft - also planbare Operationen und Behandlungen - heruntergefahren wurde, versucht, durch Mitarbeiter anderer Stationen oder ehemalige Intensivpflegende, die schon lange in anderen Bereichen tätig sind, die Lücke zu füllen. Aber als das elektive Geschäft wieder hochgefahren wurde, mussten die Kräfte natürlich wieder in ihre originären Einsatzbereiche zurück. Daher ist es immer das gleiche Thema: Wir haben nie genügend.

Mangel an Pflegekräften: "Engpässe auf den Intensivstationen sind hausgemacht"

Also nie genügend Personal - nicht zu wenig Betten?
Genau. Und dieses Personal arbeitet auch schon seit Monaten unter harten Bedingungen: in voller Infektionsschutzkleidung, mit Maske, Mantel und Handschuhen, von der psychischen Belastung gar nicht zu sprechen. Man lernt natürlich in unserer Profession, mit Tod und Sterben umzugehen - aber in dieser Art und Weise bringt das Menschen an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit.

Sind drohende Engpässe auf den Intensivstationen also auch ein Stück weit der bisherigen Pflegepolitik geschuldet?
Ja, das ist hausgemacht. Es gibt viele Themen, bei denen vor Jahren nicht die richtigen Maßnahmen ergriffen wurden, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Und jetzt in der Krise, wo der Druck riesig ist und die Intensivstationen permanent voll, ist es auch fast unmöglich, diese politische Herausforderung zu schultern.

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"Nötig wäre eine echte Strukturreform"

Eine Anerkennung für die Leistungen in der Corona-Krise sollte auf Bundes- und Länderebene der Pflegebonus sein. Ist das gelungen?
Der Pflegebonus war ein Schnellschuss und hat zu sehr viel Missstimmung unter den Pflegekräften geführt. Zum einen war die Beantragung von sehr viel Bürokratie begleitet, zum anderen war sehr oft nicht klar, wer Anspruch darauf hat und wer nicht. Da wäre es ehrlicher gewesen, man hätte gesagt: Es gibt einen Coronabonus für alle, dann wäre dieses Geschmäckle nicht dabei gewesen. Grundsätzlich ist so ein Bonus zwar nett, aber wichtiger ist, dass sich Rahmenbedingungen in der Pflege ändern.

In Bayern hat Gesundheitsminister Klaus Holetschek Pläne für eine Reform vorgelegt. Dabei geht es darum, die Pflegeversicherung besser aufzustellen. Pflegekräfte sollen tariflich bezahlt werden, die Versorgung vor Ort soll ausgebaut werden. Der große Wurf?
Es ist ein Schritt in die richtige Richtung - aber eben nur ein Schritt. Ich erwarte vom Gesundheits- und Pflegeminister, dass er jetzt mutig einen großen Schritt tut und nicht viele kleine. Was mich stört, ist, dass - auch auf Bundesebene - bei diesen Entwürfen immer wieder Äpfel mit Birnen verwechselt werden. Es muss klar werden: Ist das jetzt eine Reform für die Profession Pflege? Oder ist es ein Mischmasch von Maßnahmen für Pflegebedürftige, pflegende Angehörige und für die Profession Pflege? Wenn die Pflegeversicherung mehr bezahlt, hat das nur ganz bedingt Auswirkungen auf die Profession. Nötig wäre aber eine echte Strukturreform.

Wie kann das gelingen?
Pflegekräfte brauchen mehr Kompetenzen, wobei sich da schon etwas getan hat. Das neue Pflegeberufegesetz ist am 1. Januar in Kraft getreten; dort sind sogenannte Vorbehaltsaufgaben für Pflege definiert und es wird die Möglichkeit eröffnet, erweiterte Kompetenzen zur Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten zu vermitteln. Darüber hinaus brauchen wir mehr Akademisierung in der Pflege. Wir haben jetzt im Pflegeberufegesetz klar definiert, dass man Pflege auch grundständig studieren kann, aber es gibt zum Beispiel keine Klarheit, wie die für die Studierenden vorgeschriebenen 2.400 Stunden Pflegepraxis honoriert werden. Natürlich muss sich auch in der Bezahlung etwas tun. In München bekommt man zwar ohnehin keine Pflegekräfte, wenn man nicht nach Tarif zahlt, aber grundsätzlich sollte flächendeckend nach Tarif gezahlt werden. Wir brauchen auch ein politisches Mitspracherecht auf Augenhöhe, was jetzt in keiner Weise gewährleistet ist. Und nicht zuletzt muss sich die Gesellschaft davon lösen, dass Pflege, vor allem Altenpflege, jeder kann.

Auswahl des richtigen Pflegeheimes: "Wichtig ist, sich gut zu informieren"

Stichwort Altenpflege: In Bayern hat die Seniorenresidenz Schliersee für Aufregung gesorgt, in der es grobe Vernachlässigungen der Bewohner gegeben haben soll. Wie kann es so etwas sein - und wieso bleibt es so lange unentdeckt?
Zu dem konkreten Fall kenne ich keine Interna. Grundsätzlich spielt aber auch in solchen Fällen oft fehlende Fachlichkeit eine Rolle. Und eine fachlich nicht so gut ausgebildete Kraft, die vielleicht nur eine einjährige Ausbildung hat, versucht dann eben nur das Notwendigste zu tun und schaut vielleicht auch nicht kritisch genug hin. Und die Kontrollgremien wie Heimaufsicht oder MDK (Medizinischer Dienst der Krankenkassen, d. Red.) bekommen eben immer nur Momentaufnahmen.

Müsste mehr kontrolliert werden?
Kontrolle ist notwendig, aber letztendlich muss sich am System etwas ändern. Ohne dass man mehr Fachlichkeit in die Heime trägt, nützen auch mehr Kontrollen nichts.

Wie kann ich als Laie beurteilen, ob ein Heim, für mich oder Angehörige, ein gutes ist?
Wichtig ist, sich gut zu informieren: Wie ist es um die Fachlichkeit und die Besetzung der Stellen bestellt? Wie hoch ist der Anteil von Zeitarbeit in der Einrichtung? Man sollte das persönliche Gespräch mit der Heimleitung suchen und sich darüber hinaus einen Eindruck über die Atmosphäre im Haus verschaffen. Wie gehen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit Bewohnern und Bewohnerinnen um?

Ist teuer zwingend besser?
Nein, das glaube ich nicht. Aber das günstigste Heim kann auch nicht das beste sein, wenn man wirklich auf Fachkompetenz wert legt. Überhaupt muss sich die Erkenntnis durchsetzen, dass gute Pflege etwas kostet. Da ist die Pandemie vielleicht auch eine Chance, um für uns als Gesellschaft zu klären: Was sind uns Pflege und Gesundheitsversorgung wirklich wert? Letztendlich sollte man sich frühzeitig fragen, was man investieren will und auch, welche Alternativen es zum Heim gibt. Mit einer guten ambulanten Pflege kann man ja auch viel auffangen - die natürlich zur Verfügung stehen sollte.

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