„Bombee, Bombee!“ Wie Touristen auf Mallorca mit den Anschlägen umgehen

Solange die Sangria am „Ballermann“ fließt und schlechte Schlager im „Oberbayern“ dröhnen, ist die Welt in Ordnung – nur bei Nüchternheit kommen Bedenken auf. Eine Reportage aus Mallorca - drei Tage nach dem letzten Bombenanschlag.
Abendzeitung |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Sie lassen sich den Spaß am Feiern nicht verderben: Deutsche am "Ballermann".
Matthias Maus Sie lassen sich den Spaß am Feiern nicht verderben: Deutsche am "Ballermann".

MALLORCA - Solange die Sangria am „Ballermann“ fließt und schlechte Schlager im „Oberbayern“ dröhnen, ist die Welt in Ordnung – nur bei Nüchternheit kommen Bedenken auf. Eine Reportage aus Mallorca - drei Tage nach dem letzten Bombenanschlag.

Den Volkstribun hat er ganz gut drauf. Mit großer Geste legt der Andreas die Hand aufs Herz und das Spielzeug-Megafon an die Lippen: „Bombee, Bombee!“ grölt er, und der Daniel und der Sebastian und der Jens stimmen ein: „Eine Bombeee, keine Toten, ja das ist die Ee Tee Aaaa!“ Ein Sekunden-Hit wird das gerade, hier am Strand von Balneario 6 in El Arenal, besser bekannt als „Ballermann 6“. Hier hat man eine besondere Art, mit dem aktuellen Tagesgeschehen auf Mallorca umzugehen.

Tag drei nach den Anschlägen der baskischen Eta, und der Ballermann tobt. Ob sie sich sicher sind, was sie da singen? „Wieso, stimmt doch“, sagt Andreas. Die beiden toten Polizisten von Palmanova waren ihm entfallen. Student aus Münster ist er, in ein paar Stunden geht der Flieger heim, und jetzt lässt er’s noch mal krachen mit seinen Kumpels. Nein, doof ist er nicht, eigentlich, „Ich hab Marx gelesen und Gramsci“, sagt er. „Ich bin halt nur hacke!“ Wer könnte da widersprechen. „Bombee, Bombee!“

Sangria aus XXL-Strohhalmen sorgt für Betriebstemperatur

Warm ist die Nacht, warm ist das Krombacher, das die Flaneure auf Kurs hält. Wie an einer Perlenkette aufgereiht schweben die Jets zum Flughafen Palma ein. Voll ist die Uferpromenade und voll das Publikum, das an den typischen XXL-Strohhalmen saugt, die in Eimern mit Sangria enden. Subversion à la Malle.

Nicht alle grölen, manche sind schon weiter. Bedenklich wackelt der Stapel Liegestühle. Der Kerl dahinter hat hochgegelte Stachelhaare, so viel ist zu sehen. Er will die Liegen wohl umwerfen. Dann taucht zwischen Mann und Stapel ein Schopf Frauenhaar auf, was die Sache erklärt. Offener Vollzug am Ballermann, es ist nicht mal Mitternacht in El Arenal.

Hier ist er, der Ground Zero des Massentourismus, hier ging es in den sechziger Jahren los mit Hotelburgen und „Man-spricht-Deutsch“-Exzessen, und hier hat sich nichts geändert. Oder doch?

Wodka fließt literweise

Hier heißen die Bodegas „Scharfes Eck“ oder „Donnerbalken“. Hier gibt es „Thüringer Rostbratwurst“ und „Strammer Max“ zum Frühstück. Die „Carrer Pare Bartomeu Salva“ kennt keiner, unter „Schinkenstraße“ kennt sie jeder. Der „Bierkönig“ ist hier, die Disko „Paradies“ und natürlich das „Oberbayern“.

Auch hier gibt's natürlich die Maß, allerdings nur in seltenen Fällen mit Bier: „Was du willst“ sagt Kellner Paco im „Bierkönig“ auf die Frage, was denn drin ist im „Sonderangebot“ für sechs Euro: „Vodka Lemon, Baccardi Cola, egal.“ Jedenfalls literweise.

Für Oktoberfest-erprobte Münchner ist die zweistöckige Bierburg mit angrenzender Wellblechhalle von Flugzeughangarformat eigentlich nichts Ungewöhnliches. Wem allerdings der gemeine Wiesnhit zu intellektuell ist, der ist hier richtig: „Die Füße im Wasser und den Arsch im Sand“ geht ganz gut. Besser ist: „Weiß nicht, wie du aussiehst, Kenn nicht deinen Namen, Scheißegal!“

Ein gewisser Peter Wackel hat den Hit verbrochen, der Refrain ist schlicht „Besoffen!“ ,und das ist der Bringer, auch im „Oberbayern“. Hier schwoft „Henne“ vom Promilleclub 69 mit seinen zwölf besten Spezln. Nur Männer sind sie, aus Karlsruhe, ein Club sind sie, das Vereinsziel ist trinken, mehr nicht.

Gefahr durch Bomben? "Na und?", sagt Henne

Und die Bomben? „Ja“, gehört hat er davon, sagt Henne, „na und?“ „Kenn nicht deinen Namen, scheißegal“, dröhnt's aus den Boxen. „Bisher ist alles gut gegangen, und wir sind schon 'ne ganze Woche da. Und Schweinegrippe hat auch noch keiner.“

In der Tat. Sie sehen alle gesund aus, leuchtende Bäckchen haben sie, wohlgenährt sind viele. Atze Schröder macht hier Urlaub und Cindy aus Marzahn, und zwar massenhaft geklont. Mann trägt bevorzugt G-Star-Raw-T-Shirts ohne Arm, Frau Spaghetti-Träger zu Speckröllchen. Oder gleich Uniform wie Henne und die Seinen mit ihren Crew-Shirts. „Ich bin ne Prinzessin, du kannst mit gar nix“ steht bei den Mädels vorne drauf, bei den Jungs: „Wer nicht kotzt, säuft nicht am Limit“. Und hinten „Malle 09“.

Es scheint eine ganze Menge zu geben, die eine ganze Menge vergessen wollen für ein paar Tage. Sollte reisen vielleicht mal bilden, so ist das hier noch immer der Gegenentwurf. Besinnungslosigkeit ist das Ziel. Es wird zuverlässig erreicht.

Nur wer genau hinschaut, findet die Realität in der Urlaubslaune. „35 Mädels sollten heute mitkommen aus Cala Ratjada“, sagt Jens. Dort hat man sich kennen gelernt, Jens und die Seinen hatten wohl gehofft, die eine oder andere Freundschaft zu vertiefen hier am Ballermann. „Aber die Eltern haben von daheim angerufen und es verboten.“

"Das war schon Panik", erzählt Elke aus Graz

Und hinter vorgehaltener Hand erzählt dann doch ein einheimischer Tourorganisator, dass es ihn „gleich vier mal erwischt hat“, in diesem Jahr: „Erst die Krise, dann das schlechte Wetter im Mai und Juni, dann die Schweinegrippe und jetzt die Bombe.“ Boom ist was anderes.

„Das war schon Panik“, sagt Elke aus der Nähe von Graz, „Ich war dabei, als sie den Bierkönig geräumt haben, wegen der Bombe.“ Vor drei Tagen war das, letztlich war es blinder Alarm, und Elke vergisst schnell. Hat sie sich nicht überlegt, früher heimzufahren? „Nein, im Gegenteil“, sagt die nette Mittvierzigerin mit der lederbraunen Haut. Keine 50 Meter sitzt sie vom Biertempel entfernt und schaut in die dunstige Nacht: „Die Leut, die jungen Deitschen, die san ja soo liab“, sagt sie.

Am Morgen hat sie ihrem Mann daheim eine SMS geschrieben: „Verlängere bis Samstag“. Der wird sich gewundert haben. Doch Elke hört schon nicht mehr zu. Sie singt mit den „liaben Deutschen“ aus Münster: „Bombeee, Bombeee!"

Matthias Maus

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.