Bodypainting: Farbe für die "lebende Leinwand"

Feiner Farbnebel aus Kris Bülows Airbrush-Pistole legt sich auf die nackte Haut ihres Modells. Schicht für Schicht sprüht die 39-Jährige aus Neonfarben einen Regenbogen um Hüfte, Bauch und Brüste. Bodypainting-Festival in Bingen.
von  Abendzeitung
Kölner Dom auf nackter Haut.
Kölner Dom auf nackter Haut. © dpa

BINGEN - Feiner Farbnebel aus Kris Bülows Airbrush-Pistole legt sich auf die nackte Haut ihres Modells. Schicht für Schicht sprüht die 39-Jährige aus Neonfarben einen Regenbogen um Hüfte, Bauch und Brüste. Bodypainting-Festival in Bingen.

In mehr als fünf Stunden will sie rund 250 Milliliter Farbe auf dem Körper verteilen, um den Deutschen Titel im Bodypainting zu gewinnen. Auf dem Körper sollen eine tanzende Ballerina entstehen, eine heile Welt in Pink und Grün, ein lachendes Kind. «Am liebsten bunt», sagt sie. «Ich liebe Bonbonfarben.»

Bülow ist eine von 63 Künstlern, die am Wochenende beim 6. Internationalen Bodypainting-Festival in Bingen um den Titel kämpften. Die Wettbewerber stammen aus sieben Ländern und treten in vier Kategorien an: Mit der Sprühpistole oder mit Spezialeffekten setzen einige samstags das Motto «Welterbe» um. Sonntags erfinden andere Teilnehmer «Fantasy»-Bilder mit Pinsel und Schwamm oder in der Kategorie Gesichtsmalerei. Die Herausforderung: Die Leinwand ist ein lebender Körper. «Jedes Luftholen kann das Bild verhunzen», berichtet der künstlerische Leiter des Festivals, Peter Tronser. «Man weiß dabei nie vorher, was rauskommt. Das entsteht beim Malen.»

«Schnecke, dreh dich mal um», ruft Bülow ihrem Modell, Charlotte Seidler, zu. Nur mit einem Baumwollhöschen ist die 21-Jährige aus Darmstadt bekleidet. Das dünne Stück Stoff klebt ihr mit Spezialkleber auf der Haut, die Seiten sind abgeschnitten. Nackt fühlt sich Charlotte trotzdem nicht. Sie fühlt sich geschützt von der dünnen Farbschicht, die ihren Körper nach und nach umhüllt. «Bodypainting hat nix mit Sex zu tun», findet die junge Frau. «Die meisten verstehen schon, dass das Kunst ist.»

Der Körper ist eine «lebende Leinwand» für Airbrusherin Bülow: «Sie atmet, muss aufs Klo, hat Hunger». Aus ihrem grauen Koffer kramt die Künstlerin ein Stück Orangennetz hervor und legt es als Schablone an den Körper. «Das gibt einen supergeilen Effekt», sagt sie und setzt sich die Kopfhörer auf die Ohren. Zur Konzentration hört sie die Metal-Band Metallica. Seit zehn Jahren trainiert die 39-Jährige das Sprayen im Keller ihres Familienhauses. Vergangene Woche holte sie in Österreich den Weltmeister-Titel in der Disziplin.

Nach rund fünf Stunden sind aus den nackten Frauen und Männern Fantasiegestalten geworden. Goldenes Herbstlaub schmückt jetzt den Kopf einer «Madame Mittelrheintal». Um ihre Schenkel ranken sich Weinblätter. Bei den gemalten Burgen setzt der Künstler rasch die letzten Akzente. Ein paar Zelte weiter ist auf einem Männeroberkörper ein Pirat abgebildet. Eine ägyptische Pharaonin ziert den Rücken eines anderen Modells. Vor der Präsentation zupft er ihr noch das Klebeband ab, mit dem er ein Labyrinth auf ihrem Körper abgeklebt hat.

Mit weißen Plastikpferden vor den Brüsten und einem Riesenrad am Rücken stolziert eine junge Frau über den Rasen, nur gehüllt in die aufgemalte Jacke eines Zirkusdirektors. Daneben trägt ein Modell das indische Taj Mahal vor dem Körper, nachgebaut in Miniaturformat. Solche Spezialeffekte zu modellieren, kann Monate dauern, wie eine Körperkünstlerin berichtet. In Handarbeit hat sie Masken und goldene Männchen aus Latex und Kaltschaum kreiert. Mit dem Föhn trocknet sie kurz vor Schluss noch einige Klebestellen.

Auch Bülow setzt die letzten Schablonen an, schattiert die letzten Konturen mit ihrer Sprühpistole. Vor dem Zelt stehen Besucher, Fotografen und Kamerateams. Manche drängeln sich mit ihren Fotoapparaten dicht an Charlotte heran. Das Modell stört das in der Regel nicht. «Aber ein Fotograf, der ist wie eine Fliege», sagt sie. «Der verfolgt einen und macht Millionen von Bildern. Das ist wirklich allen Modells unangenehm.»

Am Ende gewinnt Bülow nicht den Deutschland-Titel. Mit ihrer poppigen Weltdarstellung belegt sie den zweiten Platz in der Kategorie «Airbrush». Eine Konkurrentin setzt sich durch, die mit Erdtönen eine Weltkugel gestaltet hat. Bei den Spezialeffekten siegt die Nachbildung des Taj Mahals. Alle kunstvollen Gemälde verschwinden nach wenigen Stunden wieder. Abgespült vom Duschwasser fließen die Bilder als Farbrinnsal in den Abfluss. Was den Künstlern bleibt, sind lediglich Fotos. (dpa)

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