Blondinen sterben aus
Nach der Wirtschaft stecken nun auch Deutschlands hellste Köpfe in der Krise, sind laut Wissenschaftlern eine bedrohte Art. Vier AZ-Redakteure machen sich Gedanken.
Die Engel im Alltag
Seit ich in den Spiegel schauen kann, bin ich blond. Zum Glück. Mit 15 färbte ich meine Haare nach einer verlorenen Wette knallrot – es folgten die schlimmsten, langweiligsten Wochen meines Lebens. Wer einmal blond ist, bleibt es und hilft zur Not nach. Denn nur als Blondine macht das Leben wirklich richtig Spaß.
„Bella Bionda“, riefen die Jungs im ersten Italien-Urlaub und ich fühlte mich nicht nur wichtiger als die brünette 08/15-Masse – ich war es. Blondinen fallen auf, strahlen und glänzen. Blondinen sind die Engel im Alltag. Geben Hoffnung und Zuversicht. Sie sind selten und gelten damit mehr. Das blonde Leben färbt aufs Gemüt ab. Meine Recherche hat ergeben: Blondinen sind fröhlicher, unkomplizierter, stärker und klüger – dazu haben sie die vielen Vorurteile, Unterschätzungen und Pseudo-Witze gemacht. Blondinen haben ein dickes Fell und gleichzeitig nichts zu verlieren. Eine Traum-Kombi. Sie können kreischen, zicken, verführen oder ausflippen. Egal. Sie werden geliebt.
Wer will sich schon mit Engeln anlegen?
Kimberly Hoppe (hellblond)
Total unsichtbar
Blond ist toll, ehrlich! Es löst so wenig Neid aus. Neulich ist es wieder passiert. „Hast du die Frau gesehen?“, fragte meine Freundin. „Welche Frau?“, sagte ich ahnungslos. „Na, die mit der Krokoledertasche!“
Sie muss blond gewesen sein. Denn, ach, Krokotaschen, Tentazionestiefel, Miss-Sixty-Kleider – ich lechze sie an, wenn Penelope-Cruz-Frauen sie tragen. Göttinnen, die Räume in Besitz nehmen, weil ihr dunkles Leuchten Geheimnisse und Abenteuer verspricht.
Blondinen sind dagegen wie Rechnungen am Küchentisch. Man weiß, dass sie da sind, aber man sieht sie nicht. Unter Blonden sind sie blond und unter Rassefrauen wie ein Tempo neben Chiffonschals. Und will man einen Teint, der im Schnee verblasst und in der Sonne anläuft wie Michl, den man beim Mogeln erwischt hat?
Mit Penelope habe ich nicht mehr gemein als den Vornamen, weshalb ich alle Haarfarben der Welt auf ihre Wirkung testen musste: Kleopatra-Blau, Nachtschwarz, Magenta, Kastanie, Kupfer. Ich schwör’s, blond ist toll: Als Untergrund für alles, was sich drauffärben lässt. Demnächst wähle ich Smaragdgrün. Vorblondiert, versteht sich.
Irene Penelope Kleber (rothaarig)
Wichtiger als die Uiguren!
Was ist schwarz und knistert unter der Zimmerdecke? Eine blonde Elektrikerin!
Ein Klassiker. Und sicher eine Ursache für die merkwürdigen Reaktionen vieler Kollegen, als das Gesellschaftsressort gestern um ein Plädoyer für die Blondine bat. Lauter faule Ausreden gab’s: Gaaaaaaanz wichtige Recherchen hatten die plötzlich vor sich. Angeblich eifersüchtige (brünette) Ehefrauen zu Hause. Einer versuchte gar, sich als Taubstummer auszugeben.
Dabei gilt es doch sonst als schick, sich für bedrohte Arten einzusetzen – seien es die Uiguiren, der Flussregenpfeifer oder die Schwarz-Pappel; sogar der hässliche Nacktmull hat inzwischen eine Lobby. Warum also bekennen sich nur noch Goldkettchenträger und Playboyherausgeber öffentlich zu den schönsten Frauen der Welt?
Zugegeben: Es gibt schon echt sonderbare Exemplare, Klum und Klinsi zum Beispiel. Aber die Mehrheit ist doch anders: smart, sexy und durch Vorurteile dialektisch geschult. Wir müssen uns für ihr Überleben engagieren. Es geht um das letzte Einhorn der Moderne.
Timo Lokoschat (brünett)
Von der Bettkante schubsen!
Blondinenwitze habe ich nie verstanden. Nicht weil ich brünett bin, sondern weil der für eine Pointe notwendige Kontrast zwischen Realität und Fiktion nicht vorhanden ist. In gemütsblonder Deutlichkeit formuliert heißt das: Das Verhalten vieler Blondinen bestätigt meist alle Vorurteile. Und deswegen ist es auch kein Wunder, dass sie vom Aussterben bedroht sind. Jeder rational denkende Mann (okay, das sind auch nicht so viele), müsste eine Blondine aus rein sozialdarwinistischen Gründen von der Bettkante schubsen. Denn wer möchte seinem Nachwuchs schon als einzige Begabung die genetisch bedingte Fähigkeit zum Augenaufschlag, Lockendrehen und Behäbig-Hä-Sagen mitgeben?!
Zugegeben: Bis zum Übertritt aus der Grundschule kommt man mit diesen Fähigkeiten glänzend zurecht. Weil Blondinen ja auch wirklich süß sind – vor allem wenn sie wütend sind. Aber später? Da fristet die Durchschnitts-Blondine ihr tristes Dasein als intellektuell befreite Zone in der Wissensgesellschaft. Und die, auf die das nicht zutrifft, kokettieren zumindest damit.
Georg Thanscheidt (brünett)
Erhellende Erkenntnisse: Nur noch zwei Prozent der Menschheit
Liebe Blondinen und Sympathisanten, jetzt heißt es tapfer sein, denn die Zahlen sprechen leider für sich: Gerade einmal zwei Prozent der Menschheit haben von Natur aus noch helle Haare – Tendenz sinkend! Schuld sind die niedrigen Geburtenraten in den Regionen, in denen heute noch hohe Anteile der Bevölkerung naturblondes Haar besitzen, sowie die voranschreitende Vermischung blonder und andershaariger Menschen. Helle Köpfe gibt es heute vor allem in Europa und bei den Nachfahren europäischer Einwanderer in Amerika, Australien, Neuseeland, Südafrika und Sibirien.
Auch die Gesetze der Vererbung funktionieren nicht gerade im Sinne der Blondinen: Die Gene für die hellen Pigmente verhalten sich „rezessiv“, treten also zurück gegenüber jenen, die eine andere Farbe nahelegen. Daher haben die Kinder eines blonden und eines dunkelhaarigen Elternteils meist dunklere Haare. Und selbst bei blonden Kindern ändert sich die Haarfarbe im Laufe der Entwicklung oft noch – man spricht vom „Nachdunkeln“. Das „Blond-Gen“ bleibt jedoch vorhanden und kann in der nächsten Generation wieder in Erscheinung treten.
Gaben Wissenschaftler bis vor kurzem noch den nahezu exakten Todeszeitpunkt der letzten Blondine an (die WHO sprach von ungefähr 200 Jahren), wagen sie heute keine genaue Prognose mehr: Man will halt niemanden diskriminieren ...
- Themen:
- Weltgesundheitsorganisation