„Bist du auch unterwärts warm angezogen?“

Die neue Lust an Liebesbriefen – am Lesen und Schreiben. Wie der Film "Sex and the City" fürs Comeback sorgt
Hdl, die Hab-dich-lieb-Schrumpf-SMS, hat Konkurrenz bekommen. In Web-Deutschland werden wieder papierene (seitenlange) Liebesbriefe geschrieben – und gelesen. Hinter der neuen Gefühlsduselei in unseren coolen Handy- und E-Mail-Zeiten steckt ein Film, „Sex and the City". In einer Bett-Szene kuschelt sich Carrie an ihren Mr. Big und liest ihm aus dem Buch „Liebesbriefe großer Männer, Band 1“ vor. Sie rezitiert Napoleon: „Meine süße Joséphine, gerade erwache ich ganz erfüllt von Dir“… und den ewig unverheirateten Ludwig van Beethoven: „Schon im Bette drängen sich die Gedanken zu Dir, meine unsterbliche Geliebte.“
Herzensergüsse, die (Lese-)Lust auf Liebesbriefe machen – und nach der Premiere weltweit einen Ansturm auf Buchhandlungen auslösten. Vergebens. Das romantische Druckwerk war nur eine Erfindung der Drehbuch-Autoren. Inzwischen ist es unter dem genannten Titel bei uns erschienen (Piper, 10 Euro) - mit 50 Liebesbriefen berühmter Zeitgenossen aus sechs Jahrhunderten, einfühlsam angereichert mit den Geschichten dahinter.
Große Dichter sind dabei - wie Johann Wolfgang von Goethe, Hemingway oder Erich Maria Remarque, der 1937 besorgt an seine „Geliebte Sanfte“ Marlene Dietrich im winterlichen New York schreibt: „Bist du auch unterwärts warm angezogen“? Vertreten sind Musiker wie Mozart oder John Lennon. „Gott bin ich fertig, es ist sechs Uhr früh und ich will Dich!“ teilt er 1962 aus Hamburg seiner späteren Frau Cynthia mit. Staatsmänner wie Bismarck und Churchill werden zitiert, Denker wie Freud, Einstein und Nietzsche.
Egal, ob sie sehnsüchtig oder sachlich formulieren, schreiben, mit Pathos oder voller Erotik – sie alle kehren ihr Innerstes nach Außen. Ein „Schattenriss der Seele“, wie Friedrich Hebbel einst den Liebesbrief nannte. So einer passt nicht in 160-SMS-Zeichen, in die passt eher ein seelenloses Adieu à la Boris Becker und Sandy Meyer-Wölden: „Es ist aus.“
Liebe in allen Schattierungen und Cyber-Cyranos
„Beim SMS-Schreiben ist die Hemmschwelle einfach geringer“, sagt der Sozialwissenschaftler Thomas Knieper von der Uni Braunschweig. „Ein handschriftlich verfasster Brief ist eine Abkehr vom schnellen, öffentlichen Leben. Man muss sich dafür Zeit nehmen, kann Fehler nicht einfach mit der Delete-Taste korrigieren. Er ist kein Nebenbeimedium, sondern steht für Bedacht und Wertschätzung.“
Bei Piper haben sich die „Liebesbriefe großer Männer" innerhalb von zwei Monaten fast 40 000 mal verkauft. „Das Buch lag offenbar unter vielen Weihnachtsbäumen“, sagt Marketing-Leiterin Christa Beiling. „Durch den Film und die Gedichte haben auch junge Frauen gemerkt, dass durch die kurzen SMS ein Stück Gefühl verloren geht und verklickern das ihren Partnern.“ Ob die dann wie Rainer Maria Rilke zu blauem Seidenpapier greifen, ist unklar. Sicher ist, die Nachfrage nach „Seelen-Besuchen“, so hießen Liebesbriefe in ihrer Blütezeit, im 18. und 19. Jahrhundert, ist groß, immer neue Editionen erscheinen. Beim Lesen spürt man den Zauber dieser Besuche nach – Liebe in allen Schattierungen. Da macht Hans Fallada seiner Freundin Anna Issel nichts vor („Wenn du fort bist, ist alles nur halb“, Aufbau-Verlag, 24, 95 ): „Liebes Mädel, ich hoffe, du bist ganz klar, dass dich eine finanzielle ungewisse Zukunft erwartet, dass ich nicht gesund, dass ich gesellschaftlich deklassiert bin“ (sie heiratete ihn dennoch).
Klare Worte findet auch Karl Marx: „…nicht Liebe für das Proletariat, sondern die Liebe für Dich macht einenMann wieder zum Mann", schreibt er 1841 an seine spätere Frau Jenny von Westfalen.
"Für mich bist du Wüste und Meere"
Komplizierter ist’s bei den Schriftstellern Ingeborg Bachmann und Paul Celan, wie in ihrem Briefwechsel „Herzzeit“ (Suhrkamp, 24, 89 ) nachzulesen ist: „Für mich bist du Wüste und Meere und alles, was Geheimnis ist", schreibt sie 1949 an ihn. „Vielleicht ist es so“, antwortet er, dass wir einander gerade da ausweichen,wo wir einander so so gern begegnen möchten." Ihre Liebe scheitert, in den Briefen lebt sie weiter.
Freilich ist es nicht Jedermanns Sache, sein Innerstes auf Papier zu offenbaren. Schon im 17. Jahrhundert schwelgt Cyrano de Bergerac als „Ghostwriter“ für Verliebte. Heute gibt's Cyber-Cyranos en masse, Schreib-Agenturen, Love-letter-Generatoren. Axel Kröger ( „www.dein-eigener-Liebesbrief.de“) „ghostet“ im Monat bis zu 90 Briefe: „Vielen fehlen die Worte, um ihre Gefühle zu äußern. Und sie haben Angst, das Falsche zu sagen.“
Am besten, sie halten sich an den Philosophen Jean-Jacques Rousseau: „Um einen Liebesbrief zu schreiben, musst du anfangen, ohne zu wissen, was du sagen willst, und endigen, ohne zu wissen,was du gesagt hast."
Renate Schramm