Biologe Christof Schenck: "Wir können uns nicht von der Natur abkapseln"

Der Biologe Christof Schenck (58) ist Geschäftsführer der Zoologischen Gesellschaft in Frankfurt. Die Organisation kümmert sich weltweit um rund 30 Naturschutzprojekte.
AZ: Herr Schenck, wie reagieren die Tiere in Naturschutzgebieten auf den Lockdown?
CHRISTOF SCHENCK: Dort, wo der Mensch durch seine Präsenz Druck ausübt, kann man Veränderungen sehen.
Wo zum Beispiel?
In der Serengeti-Savanne in Tansania gibt es Spitzmaulnashörner, eine bedrohte Art. Wenige Wochen nach Beginn der Pandemie waren sie in Gebieten der zentralen Serengeti unterwegs, wo wir sie Jahrzehnte nicht gesehen haben. Diese Nashörner reagieren auf Fahrzeuge - und die sind mit den Touristen weggefallen.
Belebt das Virus die Natur?
Nein, das halte ich nicht für plausibel. Es sind wenige, anekdotische Beispiele. Störungsempfindliche Arten, wie die Auerhühner, profitieren natürlich davon, wenn die Menschen nicht mehr in den Naturgebieten in Deutschland unterwegs sind. Nach dem Lockdown fand allerdings genau das Gegenteil statt: ein Run auf die Naturparks.
Schenck: "Die Delfine im Hafen von Venedig waren in Sardinien unterwegs"
Wie erklären Sie sich dann Tiersichtungen?
Ich vermute, dass sich unter den Berichten viele Fake-Meldungen befanden. Die Delfine im Hafen von Venedig etwa waren in Sardinien unterwegs. Das waren schönen Geschichten in einer schwierigen Zeit.

Erholen sich dennoch Populationen? Etwa Schildkröten?
Ich glaube die wundersame Hoffnung, das Virus tut wenigstens der Natur etwas Gutes - das können wir uns abschminken. Wenn Schildkröten nicht mehr an Strände kommen, weil zu viele Touristen dort sind, läuft schon vorher etwas falsch. Eine Erholung der Tierpopulationen weltweit findet nicht durch Corona statt, dafür ist der Zeitraum viel zu kurz. Zudem findet das, was den Tieren das Leben erschwert dennoch statt: die Zerstörung des Lebensraumes.
Schenck: "Ein kleines Zucken in einer problematischen Kurve"
Wie meinen Sie das?
In Brasilien hat sich der Waldverlust gegenüber dem Vor-Coronajahr noch gesteigert. Es ist hier also schlimmer geworden. Die artenreichen Regenwälder sind noch stärker geschädigt worden. Die großen Treiber bei dem sechsten Massensterben haben nicht signifikant abgenommen. Es gibt weniger Luftverkehr, ja - aber alles andere findet weiter statt. In diesem katastrophalen Geschehen ist das ein kleines Zucken in einer problematischen Kurve.
"In Tansania haben ungefähr eine Millionen Menschen keinen Job mehr"
Welche Folgen hatte die Pandemie für die Nationalparks?
In Gebieten, die abhängig sind vom Tourismus, um die Natur zu schützen und um Einnahmen für die Menschen vor Ort zu haben - dort gab es negative Folgen. In Tansania haben ungefähr eine Millionen Menschen keinen Job mehr, da gibt es keine Kurzarbeit oder staatliche Sozialhilfe. Die Nationalparks hatten vor Corona ungefähr 100 Millionen Einnahmen durch den Tourismus. Jetzt sind es noch 0,7 - praktisch nichts mehr. Davon können gerade mal Personal und Ranger im Sparbetrieb bezahlt werden.
Welche Botschaft liegt Ihnen also am Herzen?
Wir können uns nicht von der Natur abkapseln, wir sind ein Teil von ihr. Vielleicht bringt die Pandemie ein Bewusstsein dafür.
Christof Schenck: "Wir haben es mit drei Krisen zu tun"
Was sollte zudem ein Lern-Effekt aus der Pandemie sein?
Wir haben gesehen, dass durch die Abholzung der Regenwälder das Pandemierisiko steigt. Wir haben es mit drei Krisen zu tun: Mit der Klimakrise, dem Verlust der biologischen Vielfalt und den Pandemien - alle drei hängen eng zusammen.
Wieso steigt das Risiko einer Pandemie mit der Abholzung?
Regenwälder sind komplexe Ökosysteme, in denen Viren seit Millionen von Jahren leben. Durch das Abholzen gibt es weniger Arten, aber eine höhere Virenlast - ideale Bedingungen für die Verbreitung.