Beim Sonntagsbraten wird’s immer laut

Die Neo-Sozis mischen das politische Deutschland auf – bis in die Familien hinein: Vater, Mutter und Großmutter – alle sind bei der SPD. Doch der Sohn ist Fraktionschef bei der Linken: „Das ist alles sehr anstrengend“
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Mit dem Filius an einem Tisch? „Das halte ich im Moment nicht aus“, sagt Marianne Firsching.
az Mit dem Filius an einem Tisch? „Das halte ich im Moment nicht aus“, sagt Marianne Firsching.

Die Neo-Sozis mischen das politische Deutschland auf – bis in die Familien hinein: Vater, Mutter und Großmutter – alle sind bei der SPD. Doch der Sohn ist Fraktionschef bei der Linken: „Das ist alles sehr anstrengend“

Die Linke wirbelt das politische Deutschland durcheinander. Sie stürzt die SPD in eine tiefe Krise, traditionelle Parteienbündnisse stehen plötzlich in Frage. Die Zerwürfnisse gehen tief – manchmal bis in Familien hinein. Wie bei den Firschings.

Marianne Firsching hat einen roten Kopf, schon als sie das Café betritt. „Setzen wir uns lieber hier in die Ecke. Kann sein, dass ich gleich ein bisschen laut werden muss.“ Die SPD-Politikerin ist aufgewühlt. Die Linkspartei ist in den Stadtrat eingezogen – hier in Schweinfurt, einst fest in SPD-Hand. Der Fraktionsvorsitzende der Linken heißt auch Firsching. Frank Firsching – ihr Sohn.

„Ach, es ist furchtbar“, sagt Marianne Firsching und schüttelt den Kopf. Schwer zu sagen, was sie meint. Die Lage der SPD, die Linkspartei, ihren Sohn? Mit dem könne sie sich im Moment nicht an einen Tisch setzen, hatte die 66-Jährige vor dem Interview gesagt: „Das halte ich nicht aus.“

Eine 100-prozentige Sozialdemokratin

Marianne Firsching ist seit 24 Jahren im Stadtrat, seit ihrem 18. Lebensjahr in der SPD – wie ihre Mutter. „Die war eine 100-prozentige Sozialdemokratin.“ Der Vater engagierte sich im Arbeitersport. Die ganze Familie hat in der Schweinfurter Kugellagerindustrie gearbeitet, Marianne war 40 Jahre bei SKF und in der Gewerkschaft. Und jetzt ist ihr Sohn bei der Linken.

Sicher, die Sonntage zum Mittagessen im Familienkreis, die gebe es, seltener zwar, aber immer noch ab und zu. Firschings Augen glänzen. „Aber irgendwann kommt das Gespräch dann doch auf die Politik. Und dann wird’s laut.“

Frank Firsching seufzt tief. „Ich würde mir wünschen, meine Mutter wäre da ein bisschen pragmatischer“, sagt er. Die Geschäftsstelle der Linken in Schweinfurt ist im Gegensatz zum SPD-Gebäude nagelneu und nur zehn Fußminuten davon entfernt. „Meiner Mutter geht’s halt leider nicht um Politik, sondern um die SPD als Partei. Egal, was ich sage, ich beiße auf Granit. Das ist manchmal sehr anstrengend.“ Der 40-jährige ist DGB-Vorsitzender für die Region Main/Rhön. „Meine Bindung an die SPD war nie so hoch. Ich war immer ein kritischer Sozialdemokrat.“ Als 2000 die Unternehmenssteuer reformiert und die Vermögensgewinne steuerfrei gestellt wurden – „da habe ich für mich gesagt, jetzt reicht’s“. Als Schröder seine Agenda 2010 verkündet, hat sich Frank Firsching von der SPD verabschiedet.

Sie steht hinter Schröder

Marianne Firsching sitzt zu dieser Zeit im Sozialausschuss der Stadt – und sie steht hinter Schröder. „Mit immer höheren Transferleistungen, da tut man den Menschen doch nichts Gutes. Die sagen, warum anstrengen, ich krieg doch Sozialhilfe. Das einzige, was dann noch läuft in deren Leben, ist der Fernseher.“

Dass ihr Sohn der Partei den Rücken kehrte, hat Marianne Firsching damals geschmerzt. Aber dass er einmal zur Linkspartei gehen könnte? „Ich wollt’s nicht wahrhaben. Heute wünsche ich mir manchmal, mein Sohn wäre kein so politischer Mensch!“

Frank Firsching lächelt. „Es gibt viele Leute in der SPD, die so denken wie meine Mama. Aber zum Glück gibt es auch andere, mit denen man gut zusammenarbeiten kann.“ Rot-rot im Westen kann sich Firsching aber frühestens 2013 vorstellen. „Vielleicht wird es der SPD auf lange Sicht sogar gut tun, dass wir da sind.“

An 2013 möchte Marianne Firsching nicht denken. Im Stadtrat tritt sie jetzt kürzer. Hat sie resigniert? „Nein. Wir brauchen uns nicht zu verstecken, wir Sozialdemokraten.“ Und sie ballt die Faust. „Wir waren immer die Aufrechten.“

Annette Zoch

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