Bei Anruf Schock: So läuft die Senioren-Abzocke am Telefon

Senioren, denen Schauermärchen mit Geldforderungen am Telefon serviert werden - eine beliebte Abzocke. Und so läuft das ab.
von  Kilian Pfeiffer
Wenn bei Senioren das Telefon klingelt und ein Fremder von einem dubiosen Unfall berichtet - dann ist es oft ein Betrüger.
Wenn bei Senioren das Telefon klingelt und ein Fremder von einem dubiosen Unfall berichtet - dann ist es oft ein Betrüger. © imago

Der Anruf kam unvermittelt: Der Sohn habe bei Rot die zweifache Mutter mit dem Auto erfasst. Die Frau sei tot, sagte die Dame am Telefon, die sich als Mitarbeiterin des Amtsgerichts Laufen ausgab. Gustav Honold, der im realen Leben anders heißt, war fassungslos. Um den Sohn aus der behaupteten U-Haft zu holen, müsse eine Kaution hinterlegt werden. Die Honolds kostete das am Ende viel Geld, Gold und Geschmeide.

Hannelore Honold kann es noch immer nicht fassen. Sie und ihr Mann sind Anfang des Monats auf Betrüger reingefallen. "Wir waren zu gutgläubig." Vom Enkeltrick hatten die Honolds häufig gehört. "Ich hätte nicht gedacht, dass mir das passieren könnte", sagt sie.

Banden rufen oft aus Call-Centern in der Türkei an

Seit Jahren warnt die Polizei vor ausländischen Banden, die aus Call-Centern anrufen. Oft sitzen diese in der Türkei, heißt es auf Anfrage beim Polizeipräsidium Oberbayern Süd.

Den Angerufenen werden tragische Lebenssituationen vorgegaukelt: ein Enkel in Not etwa. Oft geben sie sich als Polizisten aus. Die echte Polizei macht keinen Druck, verlangt keine Kaution. Es gibt Dutzende Geschichten, alle erfunden. Dabei geht es immer um Geld und Wertgegenstände.

Die Betrüger suchen sich Opfer mit bestimmten Namen aus

Angerufen werden häufig Menschen mit Namen, die darauf schließen lassen, dass die Person dahinter schon älter ist. Kurze Telefonnummern werden bevorzugt. Die Anschlüsse existieren oft seit Jahrzehnten.

"Wir waren zu Hause", erinnert sich Hannelore Honold, als das Festnetztelefon schellte. Die Frau am anderen Ende der Leitung gab sich als Gerichtsvertreterin aus. Sie sprach gutes Deutsch, "versiert in der Ausdrucksweise" sei sie gewesen, sagt Hannelore Honold.

Die Frau sagte, der Sohn der Familie sei in Bad Reichenhall über eine rote Ampel gefahren. Er habe einen Verkehrsunfall verursacht, bei dem eine 30 Jahre alte, zweifache Mutter ums Leben gekommen ist.

"Wir waren gleichzeitig bewegt und durcheinander", so die 81-Jährige. Der Sohn befinde sich nun in Untersuchungshaft in Laufen, hieß es. Die Familie Honold könne eine Kaution hinterlegen. Dann könnte der Sohn bis zur Gerichtsverhandlung die U-Haft verlassen.

"Es war eine immense Schocksituation"

Die Bedingung: Alles müsse schnell gehen. Die verantwortlichen Richter, die darüber entscheiden, seien sonst nicht mehr im Dienst.

Die Frau am Telefon verlangte nach der Handynummer. "Sie müssen am Handy bleiben", soll sie mehrfach gesagt haben, so Hannelore Honold. Mit niemandem dürfe sie sich unterhalten bis zur Kautionsübergabe. Möglichkeiten, sich mit ihrem Mann zu verständigen, hatte die Ehefrau nicht. "Ich war aber sehr aufgeregt, es war eine immense Schocksituation", erinnert sie sich. "Das kann man sich nicht vorstellen, wenn man es nicht selbst erlebt hat."

Die Dame fragte am Telefon, wie viel Geld, Gold und Schmuck zu Hause sei, wie hoch der Wert liege. Für die Kaution war eine hohe fünfstellige Summe gefordert worden. "Wir haben eine Stelle im Gericht, die die Werte schätzt", so die Telefonstimme.

Keine Zeit zum Nachdenken: "Sie hielt uns dauerhaft im Gespräch"

Skepsis machte sich bei Hannelore Honold breit. Zeit zum Nachdenken gab es kaum: "Sie hielt uns dauerhaft im Gespräch." Hannelore Honold packte, was zu Hause war. Bargeld, den Familienschmuck, einen Goldbarren.

Vom Berchtesgadener Talkessel nach Laufen zum Gericht sind es rund 50 Kilometer. Ehemann Gustav saß am Steuer. "Der Tank erforderte einen Besuch bei der Tankstelle."

Während Gustav im Gespräch mit der Frau war, wollte Hannelore Honold mit ihrem Handy dem Haushaltshelfer absagen, der sich angekündigt hatte. Doch die Frau hörte das Öffnen der Autotür: "Was tun Sie da, wer ist ausgestiegen?", habe sie gefragt. "Ich wollte kurz telefonieren", antwortete die Rentnerin. "Sie dürfen jetzt nicht telefonieren", mahnte die Stimme am Ende der Leitung.

Sie hätten nur kurz beim Sohn vorbeischauen müssen

Auf dem Weg nach Laufen passieren die Honolds das Haus des Sohnes. Es wäre nur ein kurzer Abstecher gewesen. Die Frau am Telefon hätte den Umweg nicht bemerkt. Tatsächlich war der Sohn nicht in U-Haft, sondern zu Hause in der Mittagspause. Das Auto stand vor der Wohnung.

Die Honolds entschieden sich dafür, den Anweisungen der Frau Folge zu leisten und so schnell wie möglich zum Gericht zu fahren. "Sie sagte mehrfach, dass wir am Handy bleiben sollen. Das war wie eine Dauerüberwachung." Hannelore Honold beschloss, den Familienschmuck während der Fahrt zu fotografieren.

In Laufen angekommen, fand das Ehepaar nicht sofort die Zufahrt zum Gericht. Die Frau informierte, dass nun doch kein Schnelltest gebraucht würde. Ein Bote würde das Geld am Auto abholen. "Wir schicken jemanden von der Kasse", soll sie gesagt haben. Neuer Treffpunkt war nun der Schloßplatz in Laufen.

Falscher Sparkassenmitarbeiter wog die Opfer in Sicherheit

"Wir saßen da und warteten." Die Frau, noch immer am Telefon, sagte plötzlich, es gebe gute Nachrichten. Die Unfallversicherung des Sohnes würde die Kaution bezahlen, gleich am nächsten Tag. Dazu bräuchte sie die Kontonummer. Das verunsicherte Hannelore Honold weiter.

Zeit, die Ungereimtheiten zu hinterfragen, blieb für die Honolds aber nicht. Am Telefon war nun ein vermeintlicher Bankmitarbeiter, der sich als Sparkassen-Vertreter ausgab. Er erkundigte sich, ob die hohe Einzahlung, die soeben auf das Konto der Familie veranlasst wurde, rechtens sei. "Ich sagte: ,Ja'". Heute weiß die 81-Jährige, dass man die Betrogenen damit in Sicherheit wiegen wollte.

Auf den vermeintlichen Sparkassen-Mitarbeiter folgte die Frauenstimme: "Die Sparkasse hat bestätigt, dass das Geld bei Ihnen eingegangen ist." Der Bote werde nun kommen. "Verlassen Sie nicht das Auto", fügte sie noch an.

Hinter der Beifahrertür erschien eine Frau, "südländischer Typ, dunkle Haare, weißes Sommerkleid". Sie habe gelächelt. Um die 50 Jahre alt sei sie gewesen. Die Südländerin habe nichts gesprochen, nur ein Zeichen gegeben, dass sie die Botin sei. Hannelore Honold hegte Zweifel. Sie spielte mit dem Gedanken, die Frau zu fotografieren. Sie ließ es bleiben und schaute ihren Mann an und sagte: "Wer weiß, ob das richtig ist." Die Frau am Telefon fiel ihr augenblicklich ins Wort, "sie machte Druck und wollte wieder mit meinem Mann sprechen".

Hannelore Honold reichte die Tasche mit dem Geld, dem Gold und dem Schmuck der Frau mit dem dunklen Haar. Diese blieb stumm, drehte sich um und ging schnell los.

Die Verbindung unterbrach, die Stimme blieb stumm

"Haben Sie alles übergeben?", fragte die "Dirigentin der Aktion" - als solche bezeichnet Hannelore Honold die Frau am Telefon rückblickend. "Ja", sagte die geschockte Betrogene. Dann unterbrach die Verbindung. Die Stimme blieb stumm. Auch die südländische Frau war verschwunden.

"Und mir war klar, dass wir Betrügern auf den Leim gegangen waren", sagt Honold. "Der Ärger über mich selbst ist groß, aber ich wollte doch nur meinen Sohn hören." Sofort verständigten die Honolds die Polizei. "Die Wertsachen sehen wir nie wieder", lautete das Fazit nach dem Telefonat.

Das Ehepaar war zwischenzeitlich bei der Kriminalpolizei. Beide haben eine Zeugenaussage gemacht. Sie haben Fotos von Verdächtigen vorgelegt bekommen. Es soll sich um eine polnische Bande handeln, habe ein Polizeibeamter gesagt. "Wir dachten immer, uns passiert so etwas nicht", sagt Hannelore Honold.

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