Bedrohte Alpen: Der Sündenfall im Paradies

"Es gibt Almen, auf denen man das Wasser nicht mehr trinken kann“. In diesem Satz konzentriert sich die dramatische Entwicklung der Alpen. Matthias Schickhofer hat ein "Schwarzbuch“ darüber geschrieben.
von  Stephan Kabosch
Skifahren in Zeiten des Klimawandels: wo die Natur "versagt", hilft der Mensch nach.
Skifahren in Zeiten des Klimawandels: wo die Natur "versagt", hilft der Mensch nach. © imago/Action Press

"Es gibt Almen, auf denen man das Quellwasser nicht mehr trinken kann“. Ein Satz, in dem sich die gesamte dramatische Entwicklung der Alpen konzentriert. Matthias Schickhofer hat ein "Schwarzbuch“ darüber geschrieben und geht der Frage nach: Wie sind die Alpen noch zu retten?

München, Wien - Es ist schon paradox: Da fahren jedes Jahr Millionen Menschen aus den Städten hinein in die Alpen. Sie suchen eine intakte Natur, gute Luft, Erholung oder auch den Adrenalin-Kick beim Mountainbiken und die Gaudi auf und neben der Skipiste. Sie finden stattdessen immer öfter eine verbaute Landschaft, zersiedelte Gebiete, einen künstlich aufrecht erhaltenen Wintertraum, verkehrsbelastete Täler - ein bedrohtes Paradies.

Der österreichische Fotograf und Umweltschützer Matthias Schickhofer hat ein neues Buch darüber geschrieben. Er nennt es "Schwarzbuch" und macht darin eine kritische Bestandsaufnahme über den Zustand dieser einzigartigen Natur- und Kulturlandschaft. Schickhofer schreibt im Vorwort selbst, dass sein Buch keine wissenschaftliche Aufarbeitung sein soll. Das muss es auch nicht, es gibt sie ja bereits zuhauf. Der Wert dieses Buches liegt eher darin, dass es aus der Sicht eines aufrichtig Besorgten geschrieben ist, weil es "seine Alpen" nicht mehr gibt, dass es kein Patentrezept zu liefern vorgibt, sondern viele kleine Lösungen, die zum großen Nachdenken anregen sollen.

Nur noch zwei deutsche Skigebiete im Jahr 2050?

Der Schnee ist das Gold der Alpen. 13.000 Skilifte und 30.000 Kilometer Abfahrten gibt es zwischen den französischen Seealpen und dem Semmering. Doch eine globale Erwärmung um nur ein Grad Celsius würde zu einer Abnahme der Zahl der schneesicheren Skigebiete um 60 Prozent führen, stellt Schickhofer fest. „Im Jahr 2050 werden wir nur noch ein bis zwei deutsche Skigebiete haben.“

Das weiße Gold schmilzt dahin. Das Gegenmittel ist ein Gegengift: der Einsatz von 280 Milliarden Litern Wasser jährlich zur Herstellung von Kunstschnee. Daher setzt sich der Autor auch ausführlich mit dem Wettrüst-Wahnsinn in den Skigebieten auseinander und nennt dabei etwa den Querdenker Günter Aloys aus dem Tiroler Ischgl. Aloys wolle notfalls "Kühlanlagen unter die Grasnarbe bauen oder ein gläsernes Dach über den Pisten errichten." Das Geld dazu hätten die Ischgler wohl.

20 Millionen Menschen im Alpenbogen zwischen Nizza und Wien leben vom Tourismus. Da ruft auch Schickhofer nicht nach radikalen Lösungen: "Niemand wird auf die Idee kommen, Skilifte abzureißen." Aber er fordert zum Beispiel ein Hinterfragen des „Pistenkilometer-Naturgesetzes“, wonach nur Skigebiete mit möglichst vielen Pistenkilometern überlebensfähig sind. Er kritisiert dabei den Zusammenschluss von Skigebieten. Konkret nennt Schickhofer dabei auch das Riedberger Horn in Bayern. Dabei gebe es Orte, in denen das Konzept eines sanften Wintertourismus aufzugehen scheint: Schneeschuhwandern in Lunz am See (Niederösterreich), Schlittenfahrten in Reutte in Tirol. „Taugliche Leitideen“ nennt Schickhofer diese Alternativen zum Ski- und Pistenwahnsinn. Destinationen wie Ischgl oder Obertauern dürften sich davon eher nicht überzeugen lassen.

Wasserkraftwerke sind keine erneuerbare Energie

Dennoch: Schickhofer versteht es, kollidierende Gegensätze anschaulich zu beleuchten – zwischen Liftkaisern und Umweltschützern, Kraftwerksgegnern und -befürwortern, Transitlobby und Bürgerinitiativen, zwischen den Bewahrern und den Immer-weiter-Erschließern. Dabei vermeidet er es, jeweilige Positionen als absolut hinzunehmen. Es gibt sie wohl nicht, die eine Wahrheit für unsere Berge: etwa bei der Wasserkraft als erneuerbare Energie, weil Pumpwerke ohne den Zukauf von billigem Strom aus Kohle- und Atomkraftwerken wirtschaftlich nicht rentabel wären. Biomasse-Kraftwerke und Fotovoltaik-Anlagen wären eine echte grüne Alternative. Anderes Beispiel: die ökologisch sinnvolle Verlagerung des Lkw-Verkehrs von der Straße auf die Schiene. Laut Schickhofer wird der 26 Milliarden Euro teure Brenner-Basistunnel zum Rohrkrepierer, wenn nicht gleichzeitig auch die Kosten für den Straßenverkehr massiv erhöht würden.

Dabei ist der motorisierte Straßenverkehr mit Abstand der größte Emittent von Treibhausgasen – und damit mitverantwortlich an der Erderwärmung. Fast schon zynisch mag es da klingen, wenn Schickhofer ausgerechnet im Klimawandel eine Chance für den Tourismus in den Alpen sieht: Auf Grund der extremer werdenden Sommerhitze in den Mittelmeerländern könnten immer mehr Menschen die klassische Sommerfrische wiederentdecken und in den Bergen und an den Seen Erholung finden.


Angaben zum Buch

Schwarzbuch Alpen - Warum wir unsere Berge retten müssen
Matthias Schickhofer
Brandstätter Verlag, Wien, 2017
200 Seiten; Euro 22,90

 

 

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