AZ-Kommentar zum Rücktritt: Wir sind nicht Papst
Er setzte seine einmal eingeschlagene Linie der Ausgrenzung fort: Der stellvertretende AZ-Chefredakteur Georg Thanscheidt über den Papst-Rücktritt.
Benedikts Amtszeit begann mit einer Dummheit in drei Wörtern - herausposaunt von der „Bild“-Zeitung: „Wir sind Papst“ behauptete das Blatt vor acht Jahren. Eine bemerkenswerte Fehleinschätzung, selbst für dieses Vier-Buchstaben-Blatt. Denn zum einen entzieht sich das Amt des Papstes Gott sei Dank jedem nationalistischem Überschwang. Hier ist nämlich 2005 kein klerikaler WM-Titel errungen worden, sondern lediglich (oder immerhin) ein Oberbayer zum Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche gewählt worden. Zum zweiten hat in kaum einer Amtszeit eines Papstes das Wir-Gefühl innerhalb der katholischen Kirche so stark gelitten wie während des Wirkens von Papst Benedikt XVI..
Den Grundstein dafür hatte Kardinal Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation unter Johannes Paul II. selbst gelegt: Mit seiner ebenso strikten wie weltfremden Haltung zu Zölibat und Verhütung. Mit seiner Verteufelung der Homosexualität, die gleichgeschlechtliche Paare zutiefst verletzte und die 2003 sogar in seinem Aufruf zum Widerstand der Gläubigen gipfelte. Als Papst setzte er diese Linie der Ausgrenzung fort: Durch den Dialog mit den Pius-Brüdern, deren Bischof Williamson den Holocaust geleugnet hatte. Durch die gescheiterte Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in Deutschland. Durch den fortwährenden Ausschluss wiederverheirateter Geschiedener von den Sakramenten – obwohl Benedikt selbst dies immer wieder als „ein großes Leiden der heutigen Kirche“ bezeichnete.
Dafür, dass er den Mut aufbringt, als zweiter Papst überhaupt auf sein Amt zu verzichten, muss man Benedikt XVI. höchsten Respekt zollen. Der katholischen Kirche wünsche ich, dass sie unter seinem Nachfolger den Mut zum Neuanfang in all diesen Themenfeldern (wieder)findet.
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