Autorin Franka Frei: "Warum Verhütung auch Männersache ist"

Immer weniger Frauen wollen noch die Pille nehmen. Mittel für Männer sind aber noch Mangelware. Die Autorin Franka Frei ergründet, wo es viel Potenzial gibt
von  Rosemarie Vielreicher
Spermien nähern sich einer Eizelle. Sie an einer Befruchtung zu hindern, sollte nicht allein Frauen-Sache sein.
Spermien nähern sich einer Eizelle. Sie an einer Befruchtung zu hindern, sollte nicht allein Frauen-Sache sein. © imago

München - Die Pille, die Spirale (Kupfer oder Hormone), der Verhütungsring, das Hormonstäbchen im Oberarm, die Hormonspritze, natürliche Familienplanung und so weiter – Sie sehen: Die Liste an Verhütungsmitteln für Frauen ist lang. Und für den Mann? Auf Anhieb fallen vielen vermutlich nur zwei ein: einmalig das Kondom oder langfristig durchtrennte Samenleiter (Vasektomie). Der WHO fällt noch ein drittes ein: Coitus interruptus.

Zwar geistert die Idee einer Pille für den Mann immer wieder durch die Öffentlichkeit, aber auf den Markt hat es noch kein Produkt geschafft. Zuletzt kam dazu ein weiterer Vorstoß aus Bayern. Bisher gibt es dazu nur Tests an Mäusen. Zukunftsmusik also.

Zurück ins Jetzt: Verhütung ist damit oft Frauensache. Immer noch. Eine Autorin und Journalistin, die sich tief in diese Schieflage eingearbeitet hat, heißt Franka Frei ("Periode ist politisch"). Sie wurde 1995 in Köln geboren und hat gerade ihr neues Buch "Überfällig" veröffentlicht. Sie sagt der AZ: "Verhütung ist eine Partnerschaftsangelegenheit und keine Angelegenheit, die nur Frauen betrifft." Daher lautet der Untertitel ihres Sachbuches: "Warum Verhütung auch Männersache ist".

In Bayern wird die Pille immer weniger jungen Frauen verschrieben

Der erste Freund, die erste Antibabypille. Wie selbstverständlich. Ohne Fragezeichen. So war es auch bei Frei, erzählt sie. In den vergangenen Jahren hat ein Wandel eingesetzt - das belegen auch Zahlen der AOK am Beispiel Bayerns: 2013 verschrieben Ärzte noch 56 Prozent der jungen Frauen die Pille, knapp zehn Jahre später waren es noch
40 Prozent. Das Bewusstsein für mögliche Risiken wächst, so die AOK.

Auch Frei ging es so: "Es hat mich immer mehr gegruselt, mit welcher Selbstverständlichkeit Frauen wie ich in so jungen Jahren präventiv auf ein Medikament gesetzt werden, das so viele Nebenwirkungen und Risiken hat."

Das treibt sie um. "Wir verhüten mit einem Mittel aus den 60ern. Ich habe mich gefragt: Warum ist das so?" Das Thema Kontrazeption ist für sie "festgerostet". Zwar nicht mehr so wie bei Markteinführung der Antibabypille in Deutschland in den 60ern - anfangs durften nur verheiratete Frauen die Pille einnehmen. Wenn es der Ehemann erlaubte.

Autorin Franka frei.
Autorin Franka frei. © Linda Rosa Saal

Die Pille wurde als Befreiungsschlag für Frauen gefeiert, seither hat sich aber eines verfestigt: Die verfügbaren Mittel seien "alle auf den gebärfähigen Körper" zugeschnitten. "Das liegt nicht daran, dass das bei Menschen mit Uterus einfacher ist oder die Biologie das nur so zulässt, sondern das hat kulturelle Gründe. Verhütung bringt nicht nur mehr Chancen und Selbstbestimmung, sondern auch viele Nebenwirkungen mit sich - und sie werden bis heute auf die Frau abgewälzt."

Der Wissenschaft sind über 100 Methoden bekannt, wie Männer verhüten könnten

Frei sieht auch die andere Seite, nämlich: "Männer haben ein Recht auf Optionen, die sicherer als das Kondom sind, um mehr Kontrolle und Verantwortung für sich und für andere zu übernehmen. Streng genommen ist es eine Verletzung der reproduktiven Rechte von Männern, dass ihnen Mittel verwehrt werden, die es längst geben könnte."

Ihre Recherchen zeigen, dass der Wissenschaft sogar über 100 Ansätze bekannt sind, wie Männer verhüten könnten. Und davon seien die meisten sogar ohne Hormone. Am weitesten fortgeschritten sei ein Hormongel, das man auf die Schulter aufträgt. Eine getestete Pille hatte dagegen etwa die Nebenwirkung, dass die Probanden im Schnitt fünf Kilo zunahmen.

Warum Frei grundsätzlich großes Potenzial sieht, das noch nicht ausgeschöpft ist: "Die Zusammensetzung des Ejakulats besteht aus vier Faktoren: die Anzahl von Spermien, ihre Beweglichkeit, Form und Geschwindigkeit. Aus all diesen Faktoren ließen sich auch Verhütungsmöglichkeiten bauen."

Thermische Verhütung: Ein "heißes Höschen" macht vorübergehend zeugungsunfähig


Ein Ansatz ohne Hormone – besser für Körper und Umwelt: Wärme, also thermische Verhütung. "Schon in der Antike war bekannt, dass Wärme die Spermienproduktion vorübergehend einschränkt." Frankreich liebäugelt schon länger mit dieser Idee. Am Anfang standen spezielle Unterhosen in den 70ern. Durch sie wurden die Hoden näher an den Körper gedrückt, diese erwärmten sich auf Körpertemperatur.

Trägt man sie etwa 15 Stunden am Tag, seien Männer nach einiger Zeit nicht mehr zeugungsfähig gewesen, wie Frei schildert. "Wird die Hose wieder weggelassen, regeneriert sich das und alles ist wieder normal." Diese Idee fortgesetzt hat aktuell ein Franzose, der einen Silikon-Ring entworfen hat, der die Hoden ebenfalls näher an den Körper bringt.

Offiziell zugelassen als Verhütungsmittel ist der Ring noch nicht. Es braucht noch mehr Studien. Trotzdem nutzten ihn Männer schon auf eigene Verantwortung.

Wann wird es den Durchbruch bei mehr Wahlmöglichkeiten für Männer geben? Gerade bei Jüngeren beobachtet Frei eine große Bereitschaft für gerechtere Verhütung. "Wann wirklich eines auf den Markt kommt, ist ungewiss. Schon seit mehr als 40 Jahren wird davon gesprochen, dass es bald zu einem Durchbruch käme. Der Markt wird das nicht von alleine regeln - deshalb muss die Gesellschaft Veränderung fordern, damit die Bundesregierung Forschungsgelder bereitstellt." Frei wünscht sich für die Zukunft reproduktive Selbstbestimmung. Überall. Für jeden.

Fischblasen und Schafsdärme: Was früher verwendet wurde

Franka Frei ist auch auf historische Verhütungsmittel gestoßen – und die waren teils abenteuerlich: zum Beispiel Zäpfchen aus Krokodilkot als Barriere fürs Sperma, Scheidenspülungen mit ätzenden Substanzen oder sogar mit Coca-Cola. Sie nennt es einen "hilflosen Versuch, im Nachhinein das Schlimmste zu verhindern".

"Die ersten Kondome waren aus Leinen, aus Fischblasen oder Schafsdärmen." Da das tierische Material endlich war, habe man die Kondome wiederverwendet. "Jeder Mann, der es sich leisten konnte, hatte ein 'Kondomtrockengestell', auf dem die Kondome ausgerollt, gepudert und getrocknet wurden."


Franka Frei: "Überfällig. Warum Verhütung auch Männersache ist", Goldmann; 17 Euro

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