"Ausstieg bis 2020 ist möglich"
Wie Energieexperten die Chancen sehen, auf Kernkraft zu verzichten – und welche Alternativen sie vorschlagen.
Kein anderer als Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU ) hat es vorrechnen lassen, wie ein Abschalten aller AtomkraftwerkeMitautor Michael Sterner, Energiewirtschaftsexperte beim Fraunhofer-Institut für Energiesystemtechnik, hat für „spiegel online” diese Abschätzungen noch einmal aktualisiert. Sein Fazit: „Der Ausstieg aus der Kernenergie ist bis 2020 problemlos möglich.” Und das geht so:
Deutschlands Kernkraftwerke hatten bis Anfang der Woche eine Leistung von rund 20,8 Gigawatt (20,8 Milliarden Watt). Wenn sieben Atommeiler vom Netz sind, bleibt noch eine Leistung von rund 14 Gigawatt übrig. Die müssen ersetzt werden, was aber laut Sterner möglich ist, ohne an der aktuellen Energiepolitik viel ändern zu müssen.
Allein 10 Gigawatt können bis 2020 die – ohnehin geplanten – Windenergieanlagen der Nordsee produzieren. Die ersten kleineren Anlagen liefern bereits Strom.
Für die fehlenden 4 Gigawatt nennt Sterner den Bau von zusätzlichen Gaskraftwerken. Zusätzlich müssten vorübergehend zwei bis drei Kohlekraftwerke am Netz bleiben.
Kohlekraftwerke, die große Mengen des Klimagases CO2 ausspucken, statt Atomkraftwerke – diese Alternative müsste ja Umweltschützern völlig zuwider sein. Doch Energie-Experte Andree Böhling von Greenpeace sagt: „In diesen sauren Apfel können wir beißen, wenn es darum geht, die AKW abzuschalten. Die Kohlekraftwerke müssen später durch Gaskraftwerke ersetzt werden.”
Ein ganz anderes Szenario zum Ersatz der Atomkraftwerke schlägt der Bund Naturschutz in Bayern (BN) vor. Energie-Experte Richard Mergner nennt die Pläne für Off-Shore-Anlagen „Hochleistungs-Euphorie”. Die habe es vor Jahrzehnten auch für die Kernenergie gegeben.
Das BN-Konzept „Ohne Kohle und ohne Atom” setzt vor allem auf Energieeinsparung. Mergner zur AZ: „Ohne dass unser Lebensstandard geschmälert werden muss und beim heutigen Stand der Technik können künftig 50 bis 67 Prozent der Energie eingespart werden.”
Das gehe schon im Haushalt los: Ein älterer Kühlschrank verbraucht das zwei- bis dreifache an Strom wie ein neues effizientes Gerät. Mergner: „Die Hälfte des Stroms lässt sich auch mit neuen Heizungspumpen einsparen.”
Bei der Raumwärme lassen sich durch Wärmedämmung zwei Drittel der Energie sparen, in Neubauten sogar 90 Prozent. Bei Industrie- und Gewerbe könnten es 50 Prozent Ersparnis sein, ebenso wie bei Strom aus Kraftwärmekopplung.
Weil das für den privaten Verbraucher mit Kosten verbunden ist, müssen – außer der Stromkostenersparnis – natürlich Anreize oder sanfte Zwänge geschaffen werden. Mergner: „Wie bei Unternehmen sind staatliche Vorschüsse oder Förderungen denkbar.” Aber auch gesetzliche Maßnahmen, die zur Herstellung und zum Einsatz von stromsparenden Geräten zwingen, seien denkbar.
Und, so BN-Chef Hubert Weiger: „Wie wäre es denn mit einer Abwrackprämie für alte stromfressende Haushaltsgeräte?”