Ausgesetzte Kinder: "Sie weinten vor Hunger"
Ina R. ließ ihre drei kleinen Kinder in einer Pizzeria im Aostatal zurück - jetzt spricht sie zum ersten Mal über die Gründe: "Wir hatten kein Geld mehr. Ich dachte, das wäre die beste Lösung."
Vor vier Tagen setzte Ina R. ihre drei kleinen Kinder einfach in einer Pizzeria im italienischen Aostatal aus, am Donnerstagabend griff die Polizei sie und ihren Lebensgefährten in einem Wald auf (AZ berichtete) – jetzt spricht die 26-jährige Deutsche erstmals über ihre Motive.
"Wir hatten einfach kein Geld mehr", sagte Ina R. im Polizeiverhör. "Sie haben schon angefangen zu weinen, weil sie so Hunger hatten. Ich dachte, die geben denen in der Pizzeria was zu essen, und dann werden sie sie nach Hause bringen. Ich dachte, das wäre die beste Lösung." Um etwas zu essen zu haben, hätte sie sogar ihr Handy verkauft.
Wollte Sascha S. seiner Haftstrafe entgehen?
Italien war die letzte Station einer ziellosen Odyssee durch ganz Europa: Mit 1000 Euro Bargeld war die Familie zuerst in die Niederlande aufgebrochen, dann nach Belgien, Frankreich und die Schweiz gefahren. Mehrere Tage lang ernährten sie sich nur von Milch und Brot. Als ihnen in Italien schließlich Geld und Sprit ausgegangen waren, entschlossen sie sich "in tiefster Verzweiflung", die Kinder zurückzulassen, so die Polizei.
Doch warum überhaupt diese planlose Reise? Wollte Sascha S. seiner Haftstrafe entgehen? Er müsste eigentlich noch bis 2011 eine Freiheitsstrafe wegen schwerer räuberischer Erpressung in der JVA Bielefeld-Senne absitzen. Seit Anfang April wird nach ihm gefahndet, er kam von einem Hafturlaub nicht zurück. Die Staatsanwaltschaft Siegen will jetzt seine Auslieferung erreichen.
Gegen Ina R. erstattete die italienische Staatsanwaltschaft in Aosta Anzeige wegen der Aussetzung von Minderjährigen. Auch die Staatsanwaltschaft in Siegen hat Vorermittlungen aufgenommen. Ina R. ist nach der Vernehmung aber wieder auf freiem Fuß. Ihre Kinder darf sie weiterhin nicht sehen: Ein Gericht hatte ihr bereits am Dienstag das Sorgerecht entzogen und dem Jugendamt Olpe zugesprochen.
Die Eltern von Ina R. sind inzwischen vor Ort, auch Mitarbeiter des zuständigen Jugendamtes Olpe. Ob die Kinder bei den Großeltern unterkommen können, ist aber noch nicht klar. Das Jugendamt fürchtet den Medienandrang daheim in Finentrop. "Wir suchen einen sicheren Ort", sagte der Olper Kreisdirektor Theo Melcher.
"Wo ist die Mama", fragt Tristan oft.
Alle drei sind zurzeit noch in einem Kinderheim in Aosta. Der sechsjährige Tristan frage öfter "Wo ist die Mama?", erzählt Sozialarbeiter Albert Lagnece. Aber sonst gehe es den Geschwistern gut. "Sie spielen viel mit den anderen Kindern, verständigen sich mit Händen und Füßen." Alle drei sollten noch am Freitag oder spätestens am Samstag zurück nach Deutschland gebracht werden. "Vor der Rückfahrt müssen meine Kollegen mit den Kindern erst einmal warm werden", sagte Jugendamts-Sprecher Hans-Werner Voß.
In Deutschland soll dann in Ruhe geprüft werden, ob die Kinder wieder mit ihrer Mutter zusammenleben können. "Es gibt viel schlimmere Fälle von Verwahrlosung", sagt Voß. "Dass sie die Kinder in einem Lokal ausgesetzt hat und nicht wild an der Straße, das ist ja auch schon eine Art Fürsorge."
Die Eltern hatten die vergangenen Tage im Wald verbracht. Sie schliefen im Führerhaus eines abgestellten Kleintransporters. Dort entdeckte sie eine Anwohnerin. "Ich habe versucht, mit ihnen zu sprechen, aber wir konnten uns nicht verständigen", sagt Manuela Bionaz. "Sie haben mir zu verstehen gegeben, dass sie nichts brauchen." Bionaz rief trotzdem die Polizei.
zo
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