Aufstand der Hebammen

Sie üben einen lebenswichtigen Beruf aus, verdienen wenig, zahlen hohe Abgaben – und wollen sich nun dagegen wehren.
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Eine Hebamme untersucht mit Ultraschall den Bauch einer Schwangeren
dpa Eine Hebamme untersucht mit Ultraschall den Bauch einer Schwangeren

Sie üben einen lebenswichtigen Beruf aus, verdienen wenig, zahlen hohe Abgaben – und wollen sich nun dagegen wehren.

Am Mittwoch ist Hebammentag. „Das muss doch ein toller Beruf sein“, denken sich da viele. Täglich zu sehen, wie ein Baby das erste Mal lächelt oder quäkt – diese schönen Dinge zu Erleben muss doch wunderschön sein. Traumjob Hebamme? Die Realität sieht anders aus.

„Früher war es tatsächlich mein Wunschberuf und hat mir sehr viel Spaß gemacht,“ sagt die Münchner Hebamme Karina Richter. „Doch unter den jetzigen Bedingungen kann ich den Frauen nicht so viel geben, wie sie es bedürfen – dazu habe ich in der Klinik einfach zu wenig Zeit.“

Tatsächlich hat sich in den letzten Jahren das Berufsbild einer Hebamme dramatisch gewandelt: Geburten werden derzeit meist nur noch von den Ärzten im Krankenhaus durchgeführt, auf Hebammen wird oft aus Kostengründen verzichtet — dabei verdienen Freiberufliche im Schnitt nur 7 Euro 50 netto und müssen zudem immer höhere Versichungsprämien zahlen.

Daher stellt der deutsche Hebammenverband jetzt Forderungen: Sie wollen eine höhere Bezahlung und weniger Kinder gleichzeitig betreuen. Um dies zu erreichen, wird am Mittwoch in vielen deutschen Städten zum Protest aufgerufen. Das Motto: „Die Welt braucht Hebammen heute mehr denn je!“

Aber es werden doch immer weniger Kinder geboren – ist das kein Widerspruch? „Überhaupt nicht“, sagt Edith Wolber vom Deutschen Hebammenverband. „Die Geburtenzahl geht zwar zurück, doch immer mehr Mütter entbinden ambulant. Daher brauchen sie zuhause eine intensive Betreuung durch die Hebammen.“ Hinzu kommt, dass Frauen ihre Kinder heute viel später bekommen, der Durchschnitt liegt bei 30. „Da haben sie teilweise keine Mutter oder Großmutter mehr, die ihnen Tipps geben kann“, sagt Walber.

Also bringen Hebammen den Müttern bei, wie sie ihr Baby stillen oder wickeln müssen, kümmern sich um die Rückbildung des Schwangerschaftsbauches. Dazu leisten sie psychologische Hilfe, versuchen, die Mutter-Kind-Bindung zu stärken. Doch auch davor gibt es viel zu tun: „Im Krankenhaus muss man sich häufig um zwei bis vier Mütter gleichzeitig kümmern“, sagt die Hebamme Richter. „Da hat man natürlich nur wenig Zeit für jede Einzelne.“

Erst wenn Mutter und Kind wieder daheim sind, wird es ruhiger. Richter hat die frischgebackene Mutter Nanna Böhm über diese Zeit hinweg im so genannten „Wochenbett“ betreut. „Die meisten Fragen hat man nicht im Krankenhaus, sondern dann, wenn man zuhause den Alltag bewältigen muss“, erzählt die Mutter einer sechs Wochen alten Tochter. „Besonders wenn das Baby viel schreit, ist man anfangs verunsichert. Karina konnte ich immer anrufen und um Rat fragen, auch nachts.“

Doch genau diese ständige Einsatzbereitschaft zerrt an den Nerven der Hebammen. „Es kostet wirklich sehr viel Kraft und Energie: Man muss natürlich immer erreichbar sein, immer stark und gutgelaunt“, erzählt Richter. Klar mache ihr der Job auch Spaß. „Am Schönsten ist es, die Mutter-Kind–Bindung in den ersten Wochen zu stärken. Es ist toll zu sehen, wie die Familie wächst.“

Auch Richter wird am Mittwoch um 13 Uhr bei der Demo am Karlsplatz dabeisein. Wenn nicht wieder ein dringender Anruf dazwischenkommt. Jennifer Köllen

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