Auch bei Pandemie gilt: «Bloß keine Panik»
Innerhalb der EU wurden mittlerweile 49 Fälle der Mexikanischen Grippe registriert. Zwischen der US-Seuchenbehörde CDC und der WHO ist indes ein Streit über die Gefährlichkeit des Virus entbrannt.
Die Zahl der mit der Mexikanischen Grippe infizierten Menschen in der EU ist auf 49 gestiegen. Dies teilte das EU-Zentrum für Seuchenbekämpfung am Sonntag in Stockholm mit. Unter den zehn neuen Fällen sind einer in Deutschland, sieben in Spanien, einer in Irland und der erste Fall in Italien.
Neun neue Verdachtsfälle werden aus Großbritannien, ein weiterer aus Portugal gemeldet. In der EU gibt es nun insgesamt fünf Fälle, in denen sich Menschen mit dem Virus infiziert haben, die selbst gar nicht in einer stark betroffenen Region waren. Laut ECDC sind weltweit 780 Fälle der Mexikanischen Grippe bestätigt, 476 davon in Mexiko. Bereits am Sonnabend hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf Berichte zurückgewiesen, nach denen das mutierte Grippevirus A/H1N1 weitaus ungefährlicher sei als angenommen. Dies hatte die US-Seuchenbehörde CDC erklärt. Der Virustyp H1N1 habe anscheinend nicht die gleichen todbringenden Eigenschaften wie das Virus der katastrophalen Spanischen Grippe von 1918/19, sagte CDC-Direktorin Nancy Cox in Atlanta. An der Spanischen Grippe waren vor 90 Jahren mehr als 25 Millionen Menschen gestorben.
Alarmstufe 5
Demgegenüber erklärte der WHO-Direktor für weltweite Alarm- und Reaktionsstufen, Michael Ryan: «Die Entwicklung eines Virus ist überhaupt nicht vorhersehbar.» Man könne immer noch davon ausgehen, dass eine Pandemie bevorstehe. «So müssen wir davon ausgehen, dass Phase 6 erreicht wird - aber wir hoffen, dass das nicht geschieht.» Derzeit sei es aber nicht angebracht, die Alarmstufe 5 auf die höchste Stufe 6 zu heben, die den Ausbruch einer Pandemie anzeigen würde. «Es wäre unklug derzeit zu sagen, das Virus verbreite sich in unkontrollierter Weise», ergänzte Ryan. Die WHO kündigte außerdem an, etwa 2,4 Millionen Dosierungen an Anti-Grippemitteln für 72 Länder bereitzustellen, die wegen Armut oder schlechter Infrastruktur etwa im Gesundheitswesen zu den bei einer Pandemie am stärksten gefährdeten Staaten gehören könnten. Dies sei eine reine Vorbeugungsmaßnahme, hieß es in Genf. Gemäß den WHO-Kriterien wird die zweithöchste Warnstufe 5 dann ausgerufen, wenn sich das Virus in mindestens zwei Ländern einer Weltregion von Mensch zu Mensch verbreitet. Angesichts der drohenden Pandemie sollen sich die Mitgliedstaaten nun gezielt für eine flächendeckende Verbreitung der neuen Influenzavariante wappnen. Mit der Stufe 6 stellt die WHO dann eine Pandemie fest, wenn die Krankheit in mindestens noch einer zweiten Weltregion unter der Bevölkerung grassiert.
Selbst bei Stufe 6 keine Panik
Selbst in diesem durchaus nicht unwahrscheinlichen Fall sehen Experten keinen Grund zur Panik. «Der Begriff Pandemie sagt nichts aus über die Schwere der Erkrankung», betont der Infektiologe Helmut Eiffert von der Uniklinik Göttingen. «Wir haben zwar ein neues Virus, aber das scheint nicht sehr aggressiv zu sein. Die klinische Symptomatik der Schweinegrippe ist offenbar nicht stärker als die der normalen Influenza.» Einen weiteren Vorteil sieht der Mediziner darin, dass vorhandene Medikamente wie etwa der Neuraminidase-Hemmer Tamiflu vermutlich gegen die neue Variante helfen. Dennoch ist auch eine gewöhnliche Grippe keine harmlose Krankheit. Eine durchschnittliche Influenzasaison fordert in Deutschland rund 10.000 Todesopfer, darunter vor allem alte Menschen. Und weil die wandlungsfreudigen Viren sich kontinuierlich verändern, lässt sich nicht mit Sicherheit ausschließen, dass der Erreger im Lauf der Zeit aggressiver werden könnte. In der Regel verläuft die Entwicklung aber eher in umgekehrter Richtung: Wenn ein Erreger von einer anderen Art auf den Menschen überspringt, in diesem Fall vermutlich vom Schwein, ist er gewöhnlich gerade in der Anfangsphase besonders aggressiv, passt sich dann seinem neuen Wirt ab und wird schwächer.
Wie aggressiv ist das Virus?
Aber die Gesundheitsbehörden halten sich derzeit mit Einschätzungen oder gar Prognosen für die Zukunft zurück. Niemand will sich darauf verlassen, dass die Mexikanische Grippe tatsächlich eher mild verläuft. «Über die Aggressivität des Virus haben wir wenig verlässliche Informationen», betont Susanne Glasmacher vom Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin und verweist auf die bislang geringe Zahl der Erkrankten, die kaum gesicherte Rückschlüsse zulasse. «Wir wissen fast nichts über den Erreger.»
Deshalb verfolgen die nationalen und internationalen Gesundheitsbehörden weltweit die Veränderungen des Erregers mit größter Aufmerksamkeit und rüsten sich für den schlimmsten Fall. Dabei profitieren sie von dem Wirbel um die Vogelgrippe. «Durch die Vogelgrippe wurden Vorkehrungen getroffen wie etwa das Einlagern von Medikamenten und das Erstellen von Pandemieplänen», sagt der Virologe Stephan Pleschka von der Universität Gießen. «Wir sind jetzt wesentlich besser vorbereitet.» (AP/dpa/nz)