Attacke aufs Gehirn: Was Terror in uns auslösen kann
München - Sie ist eine natürliche Reaktion des Gehirns, ein Schutzmechanismus – doch manchmal wird die Angst zur Krankheit: Angststörungen gehören laut Deutscher Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) zu den häufigsten psychischen Leiden. Rund 15 Prozent der Bevölkerung davon betroffen, das sind etwa 12 Millionen Menschen. Die Angststörungen liegen damit noch vor Depressionen.
Was vielen zurzeit besonders Angst macht, sind die Meldungen von Terror und Gewalt, mit denen wir fast täglich konfrontiert werden - wie jetzt der Anschlag von Manchester. Zwar können viele Menschen diese einordnen und lassen sich nicht dauerhaft davon belasten – doch sie stellen eine psychische Belastung dar. Wann fängt eine Angststörung an? Was kann man tun, um sich davor zu schützen? Die Diplom-Psychologin und Angsttherapeutin Iris Wolfinger gibt Antworten.
Frau Wolfinger, wie entsteht Angst im Gehirn?
IRIS WOLFINGER: Angst hat eine biologische Entwicklungsgeschichte. Die Menschen haben über die Jahrtausende ein Warnsystem entwickelt, das Gefahren registrieren kann. Das informiert sich über die Sinne, vorwiegend über Augen und Gehör. Dieses Warnsystem ist entwicklungsgeschichtlich alt und ist auch in einem Gehirnteil abgelegt, der jetzt nicht unbedingt über Worte funktioniert. Sondern über Bilder oder Sinneswahrnehmungen. Der ist bekannt unter dem Namen Reptiliengehirn oder Stammhirn. Der spezielle Angstteil wird lokalisiert in den sogenannten Mandelkernen.
Welche Auswirkungen haben die vielen Terrormeldungen auf unser Angstempfinden?
Dieses geschichtlich alte Gehirn unterscheidet nicht zwischen tatsächlich Gesehenem und einem Foto. Es sieht nur das Bild. Und wenn es Bilder sieht von gefährlichen Dingen, und dazu gehören auch verletzte Menschen, Blut, Tote, Gewalt gegen Menschen, dann reagiert es. Nämlich mit Erhöhung des Anspannungsniveaus im ganzen Körper. Wir können nicht sagen: Das ist nur ein Film. Dieser Teil des Gehirns sieht eine Gefahr und die registriert er unabhängig von der Einordnung in der Realität.
Gehen Menschen mit diesen Bildern beziehungsweise mit diffusen Bedrohungen unterschiedlich um?
Ja, auf jeden Fall. Wie wir emotional reagieren hängt immer vom Körperzustand ab. Wenn wir sowieso schon unter starker Anspannung stehen, dann werden wir auch intensiver reagieren. Und da unterscheiden sich die Menschen sehr drastisch im Anspannungsniveau. Die einen haben sehr viel Anspannung über ihr Leben angesammelt, die anderen dagegen sehr viel weniger.
Werden ängstliche Leute also schlechter mit solchen Bildern fertig?
Leute, die unter starker Anspannung stehen betrifft es mehr. Und diese Anspannung kann aus unterschiedlichen Quellen herrühren. Man kann Operationen erlebt haben,einen dramatischen Unfall. Das wirkt sich auch auf den Gesamt-Anspannungsgrad des Körpers aus. Und wenn man durche eine sogenannte „schwere Kindheit“ schon viel erlebt hat, was den Körper in Anspannung gebracht hat, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass man auch schneller mit Angst reagiert.
Wie äußert sich diese Angst?
In erster Linie äußert sich Angst körperlich, so ist sie ja auch biologisch angelegt: Indem sich der Herzschlag erhöht, die Atmung beschleunigt und die gesamte Anspannung in Armen, Beinen und im Nacken , aber auch im Gesicht zunimmt. Es fließt ganz viel Adrenalin, als allererstes in Arme und Beine, aus biologischen Gründen, damit man damit kämpfen kann oder davonlaufen. Wir fangen an schneller zu atmen, eventuell kommt noch Schweiß dazu oder auch ein leichtes Zittern.
Gibt es Methoden, mit denen man Angstzuständen vorbeugen kann?
Man kann sehr gut vorbeugen, indem man lernt, die eigene Anspannung zu reduzieren. Und zwar konsequent und jeden Tag.
Gibt es konkrete Techniken der Angstbekämpfung?
Einmal gibt es die Möglichkeit, direkt auf diesen körperlichen Anspannungszustand einzuwirken. Da kann man ganz viel mit Bewegung machen. Bestimmte Atemtechniken funktionieren auch sehr gut. Man kann aber auch aus dem Alltag heraus Unterstützung holen: Es führt auch zur Entspannung, wenn man sich mit netten Menschen unterhält oder unter Freunden ist und wirklich einen guten zwischenmenschlichen Kontakt hat, wo man sich sicher fühlt. Es muss nicht unbedingt eine künstliche Technik sein. Man kann sich im Alltag auch in einen bequemen Stuhl oder Sessel setzen, wo man sich mit dem Rücken gut anlehnen kann und einfach mal wahrnehmen, wie man sein Gewicht abgeben kann und gehalten wird. Auch das entspannt den Körper ganz enorm.
Und eine Beruhigungsstrategie, die auch bei Terrormeldungen funktioniert?
Man sollte sich bewusst machen, was man eigentlich wirklich an Sicherheit in seinem Leben hat. Dazu gehört mein fester Job oder ein geregeltes finanzielles Einkommen, eine Familie, eine gute Partnerschaft oder auch Freunde. Ganz viel an der realen Situation kann einem eine grundlegende Sicherheit vermitteln. Wir leben ja in einem Land, in dem keine Bomben fallen. wo nicht geschossen wird.
Was ist besser: Terrormeldungen registrieren oder ignorieren?
Keins von beiden. Das wichtigste ist der Realitätscheck: Wie wahrscheinlich ist das in meinem Alltag? Was passiert denn wirklich in meinem Leben? Dieser Realitätscheck ist das allerwichtigste, weil wir ja noch einen mentalen Anteil haben, der auch auf die Angst Einfluss nimmt. Das ist der Anteil, der sich ausmal, was alles passieren könnte. Und eine Angststrategie ist eben immer, sich die schlimmsten Möglichkeiten zu überlegen und zu vergessen, dass man sich ja auch mal die besten Erwartungen ausmalen könnte. Eine ganz wichtige Strategie ist zu sagen: Ich höre mir die Nachricht einmal an, vielleicht gucke ich auch noch in einem anderen Sender, aber dann mache ich auch mal einen Punkt und warte, bis mal wieder was tatsächlich neues auftauchen kann.
Kann es Auswirkungen haben, wenn man das nicht tut?
Es verursacht eine chronisch erhöhte Erregung, und das wirkt sich wie alle chronischen Missstände auf die Gesundheit aus. Es kann in der Muskulatur eine Daueranspannung verursachen. Viele Menschen habenstarke Nacken- und Rückenprobleme, das ist auch ein typischer Bereich, wo sich Angst auswirken kann. Und auch im Herz-Kreislauf System ist es bekannt, Herzinfarkte, aber auch Kopfweh oder Migräne.
Wovor haben die meisten ihrer Patienten abgesehen von Terror Angst?
Der wesentliche Angstauslöser ist der Mensch selbst. Die meisten Angstauslöser beziehen sich auf soziale Situationen, was passieren könnte, in Form von Kritik oder sich blamieren, was andere Menschen denken oder tun könnten. Das ist, was mir am meisten begegnet, soziale Ängste nennt man das dann auch. Oder Versagensängste im Bereich des Berufs.
Wann ist eine Therapie nötig?
Wenn sich die Angst- oder Panikzustände über ein halbes Jahr hinziehen und immer wieder kommen. Je länger es dauert, umso länger brauche ich auch, um wieder rauszukommen aus dem Panikzustand. Und ich empfehle auch möglichst eine Therapie zu besuchen, die sich mit körperlichen Aktivierungssymptomen auskennt und darauf Einfluss hat.
Iris Wolfinger betreibt seit 2003 eine Stresspraxis in Planegg und ist spezialisiert auf Angst, Panik und Trauma.
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