Aspirantin auf die Ewigkeit
Die österreichische Extrembergsteigerin Gerlinde Kaltenbrunner versucht derzeit mit der Besteigung des K2 ihren 13. Achttausender – dann fehlt ihr nur noch der Everest zur Rekordleistung
Die Unsterblichkeit durch die Gipfelbesteigung ist nur wenigen gegönnt. Sir Edmund Hillary und sein Sherpa Tensing sind wegen ihrer Pionierleistung am Mount Everest unvergesslich, Reinhold Messner und Peter Habeler durch ihren Verzicht auf Sauerstoff am selben Berg. Und natürlich sicherte sich Messner eine Bestmarke, die ihm niemand mehr streitig machen kann. Er ist der erste Bergsteiger, der alle 14 Achttausender bestieg. Dies haben zwar – seit Veikka Gustaffson gestern den Gipfel des Gasherbrum I bewältigte – inzwischen noch 16 andere Extremsportler geschafft, aber bislang noch keine Frau.
Genau um diesen vakanten Platz in der Galerie der unsterblichen Pioniere tobt derzeit ein beispielloser Konkurrenzkampf. Schließlich geht es nicht nur um Ruhm, sondern auch um viel Geld durch lukrative Sponsorenverträge, Vortragsreihen und Buchveröffentlichungen.
Nach dem K2 noch auf den Everest
Die Nase vorn hat derzeit die österreichische Krankenschwester Gerlinde Kaltenbrunner (38), die gestern knapp 300 Meter unterhalb des K2-Gipfels ihre Ambitionen vertagen musste.
Kaltenbrunner hatte eine besonders anspruchsvolle Route gewählt, um der drohenden Eisschlag-Gefahr auf 8300 Metern Höhe zu entgehen. Sie wollte dabei die Stelle meiden, an der im August 2008 eine Lawine elf Bergsteigern das Leben kostete. Wenn ihr die Besteigung in den nächsten Tagen doch noch gelingt, wäre sie die erste Frau, die 13 Achttausendergipfel erreicht hat. Und sie hätte noch einen anderen Trumpf in der Tasche. Denn sie müsste „nur“ noch den Everest bezwingen, der durch den massiven Einsatz von Fixseilen und Leitern ja den größten Teil seiner Schrecken verloren hat.
Dabei neigt Gerlinde Kaltenbrunner nicht zu großen Sprüchen und medial ausgetragenen Streitigkeiten, wie sie Reinhold Messner perfektioniert hat. Die mit dem deutschen Bergsteiger Ralf Dujmovits (er hat schon alle 14 Riesen gemeistert) verheiratete Kaltenbrunner stellt auf ihrer Homepage meist die Schönheit des Blicks und der Bergwelt über die detaillierte Beschreibung der (un)menschlichen Strapazen. Sie lehnt übertriebenen Ehrgeiz und Rekordjagden ab und legte sich mit „Skyrunner“ Christian Stangl an, weil dessen Sport die Berge allein auf die Bestzeit zwischen Basislager und Gipfel reduziert. So ernst kann der Konflikt aber nicht gewesen sein, die beiden begegneten sich die letzten Tage am K2 – auch Stangl brach gestern seine Gipfeljagd ab – und Kaltenbrunner gratulierte Stangl zum Geburtstag.
Konkurrenzdenken ist ihr offiziell zuwider
Sie wolle gar nicht unbedingt die erste Frau auf allen 14 Achttausendern sein, betont Kaltenbrunner immer wieder, sie wolle nur unbedingt auf allen Gipfeln stehen. Ihre Freundlichkeit ist keine falsche Waffe: So lief sie demonstrativ gemeinsam mit ihrer Konkurrentin Edurne Pasaban die letzten Meter auf den Gipfel des Broad Peak.
Kein Verständnis aber hat Kaltenbrunner für die Mittel, mit der die Südkoreanerin Oh Eun Sun versucht, das Rennen für sich zu entscheiden. Sie würde eher umkehren, als künstlichen Sauerstoff am Berg einzusetzen.
Dass man Berge nur mit fairen Mitteln und ohne riesige Unterstützung von Hochträgern besteigt, und weder mit kilometerlangen Fixseilen bezwingt noch erobert, das hat Kaltenbrunner auch mit der Italienerin Nives Meroi gemeinsam, die vierte Aspirantin auf die Ewigkeit.
Volker Isfort
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