Anti-Diät-Tag: „Hört auf zu hungern!“

"Wenn ich bedenke, wie viel Energie und „Hirnschmalz“ ich durch die Leidenszeit meiner unzähligen Diäten verloren habe..." Sie ist rund – na und? Die Autorin Margit Schönberger plädiert zum heutigen Anti-Diät-Tag in der AZ fürs Pfundigsein und gegen Krautsuppen.
Ich bin kein Blauwal. Als solcher hätte ich nämlich durch die sechshundert Liter sehr fette Milch, die ein Blauwalbaby täglich von seiner Mutter erhält, in meiner ersten Lebensphase jeden Tag hundert Kilo zugenommen. Das hat die Natur für Blauwalbabys so eingerichtet. Aber auch ich habe in meinem Erwachsenenleben ganz schön viel Wasser verdrängt. Hundert Kilo waren es mindestens, die ich insgesamt umgewälzt, also ab- und wieder zugenommen habe.
Wenn ich bedenke, wie viel Energie und „Hirnschmalz“ ich durch die Leidenszeit meiner unzähligen Diäten (dreißig waren es bestimmt) – von der Eier-Kur über die Hollywood-Diät bis zur Null- und Atkins-Diät, von der die Luft verpestenden Wunder-Krautsuppen-Diät gar nicht zu sprechen – verloren habe, könnte ich mich nachträglich noch in den Hintern beißen.
Die Krautsuppen-Diät hat mir den Rest gegeben. Außer, dass es fürchterlich gestunken hat, hat’s mir nix gebracht. Kein Gramm weniger. Seitdem esse ich, was mir schmeckt, ohne Kalorien zu zählen und darüber nachzudenken. Ich bin rund – na und?
Mein „Diätenhasser-Buch“ soll anderen ersparen, dass sie – wie ich früher – Schindluder mit ihrem Körper treiben. Und zum aufrechten Gang mit hoch erhobenem Kopf übergehen. Die Millionen Tonnen Fett, die wir uns zusammen – animiert von Diätpäpsten, falschen Vorbildern und Schlankheitsfanatikern – Jahr für Jahr herunterquälen, wären schon längst halbiert oder vielleicht gar nicht vorhanden, wenn wir uns nicht wie leichtgläubige Schafe vor den finanziellen Karren lachender Dritter hätten spannen lassen. Zuerst machen sie uns dick, und dann zocken sie uns ab. Denn es ist inzwischen erwiesen: Ständiges Kalorienzählen und Diäten machen dick.
Sie glauben, wir Runden sind undiszipliniert und schieben die Schuld auf andere? Irrtum: Die meisten Dicken essen weniger als die Spargeldünnen, wir sind auch nicht kränker als andere Menschen und sterben auch nicht früher. Das behaupten wir nicht – das ist untersucht worden. Leider lässt sich mit der Information, dass Menschen aus wissenschaftlich belegten Gründen so akzeptiert werden sollten, wie sie nun mal sind – die einen runder, die anderen schlank und rank – keine Kasse machen.
Dagegen sind wir Dicken Gelddruckmaschinen auf zwei Beinen. Für die Lebensmittel-und Diätindustrie (die im Zweifelsfall identisch sind), für Statistiker und Ernährungsberater, für Mediziner (von denen die meisten über Dick- und Dünnsein nur wenig bis gar nichts wissen, aber umso fröhlicher an uns herumdoktern), für Lebensmittelchemiker, für Fitness-Studios und Wellness-Kliniken, für Schönheitschirurgen, Diäterfinder und jede Menge windige Schwindler, die in uns die ideale Zielgruppe (hoher Leidensdruck und damit leicht zu manipulieren) erkannt haben.
Mit anderen Worten, wir sind die Trottel der Nation. Weil wir immer noch nicht begriffen haben, dass die Diät-Nummern – egal welches Mäntelchen sie sich umhängen – nicht funktionieren. Wenn es so wäre, hätte sich das Thema Diät doch schon längst erledigt. Da können die „Experten“ messen und wiegen, so lange sie wollen: Menschen sind verschieden.
Und unsere Körper haben eben ihren „eigenen Kopf“ (und wollen uns bestimmt nichts Böses!). Vor allen uns Frauen muss in diesem Zusammenhang etwas ins Stammbuch geschrieben werden: Wir sind doch so stolz auf unsere hart erkämpfte Emanzipation. Wir haben nur vergessen, dass sie auch gelebt werden muss. Um gleichberechtigt zu sein, geliebt zu werden und Karriere zu machen, braucht es andere Qualitäten als ein windschnittiges Hinterteil und eine gertenschlanke Figur.
Also hört auf zu hungern und die Gegebenheiten unserer sehr verschiedenen Körperanlagen einem wahnvollen Wunschbild anzupassen. Seid einfach die, die ihr seid! Dieser Beschluss hat mein Seelenleben nach 50 Jahren als Diät-Versuchskaninchen leichter und beschwingt und mein Hirn wunderbar frei gemacht. Die Erbsenzähler und Beutelschneider werden auch andere Betätigungsfelder finden. Fangt an zu leben, liebe Mit-Rundlinge, und seid fröhlich.
Wann dann, wenn nicht jetzt?