Am Tisch der Natur

Warum Picknick seit Jahrhunderten ein Volkssport ist – und ein Mahl im Grünen am 19. August 1989 ein Loch in den eisernen Vorhang gerissen hat
Einfach mal raus, ein paar Sachen mit, eine Decke und eine schöne Flasche, und dann mittenmang ins Grüne! Das ist die Idee, die Lust macht. Der Gedanke an Ameisen, feuchte Wiesen, Rückenschmerzen kommt erst gar nicht, und dann zu spät. Macht nichts. Der Ausflug ins Grüne samt selbstorganisierter Verköstigung ist ein Megatrend – und das seit Jahrhunderten.
Pique-nique, verballhorntes französisch für „nimm dir ein Bisschen“ ist eine der zahlreichen Herkunfts-Erklärungen für einen Begriff mit langer Tradition und Geschichte.
Schon in Bocaccios „Decamerone“ und in Chaucers „Canterbury Tales“ wird draußen lustvoll gespeist. Als die französische Revolution dem Adel die Köpfe abschlug und die Schlösser abnahm, da durfte das Volk die Parks betreten. Das sich niederlassen auf den Rasen wurde zum Volkssport.
In den Londoner Parks gab es im 19. Jahrhundert eine „Picnic Society“, deren Mitglieder neben Speisen und Getränke auch künstlerische Darbietungen mitbringen mussten.
Künstlerisch verewigt ist das Picknick durch Edouard Manets „Déjeuner sur l’herbe“. Das Bild aus dem 19. Jahrhundert mit der schönen Nackten im Pariser Bois de Boulogne wurde zum Sinnbild eines freien, entspannten Umgangs mit Natur und der Nacktheit. Ein Mahl im Grünen, das ist etwas anderes als die Mittagspause, als die Brotzeit der Bauern auf dem Feld.
„Wir sind alle von der Natur abhängig“ sagt Ute Frieling-Huchzermeyer, Chefredakteurin von „Landlust“, und „deshalb zieht es uns alle immer wieder hin“. Die Auflagenzahlen ihres Lifestyle-Magazins für die Generation draußen geben ihr Recht. Das Heft boomt, unter anderem mit einer großen Strecke über Picknick.
Doch Picknick ist weit mehr als nur Lifestyle. Den überaus friedlichen Charakter des Zusammensitzens haben sich auch politische Aktivisten zunutze gemacht. So hatte das „paneuropäische Picknick“ an der österreichisch-ungarischen Grenze am 19. August 1989 ungeahnte Folgen. Für ein paar Stunden ging der Grenzzaun zwischen West und Ost auf – und seither nicht mehr zu. Es war das Ende des Ost Kommunismus.
Es geht um ganz elementarie Bedürfnisse beim Picknick, sagt Ute Frieling-Huchzermeyer: „Im Stress fühlt man sich nicht richtig. Draußen in der Natur kann man sich wieder erden“ meint die Expertin: „Es ist ein ganz eigenes Körpergefühl, man nimmt Gerüche und Geräusche ganz anders wahr“. Leichter, einfacher: Im englischen ist „Picnic“ sogar zum Synonym dafür geworden, wenn auch nur zum beschreiben des Gegenteils: „That’s no picnic“, sagt man, wenn etwas schwer zu werden droht. Matthias Maus