Alice Schwarzer – verfolgte Unschuld oder selbstgerechte Peinlichkeit?
Nach ihrer Steuerbeichte ist eine massive Debatte um Alice Schwarzer entbrannt – auch, weil sie glaubt, dass sie in Wahrheit nur für ihren Feminismus geprügelt wird. Jetzt stiftet sie eine Million
Köln – Die einen (die wenigeren) denken, dass Alice Schwarzer jetzt nur gebasht wird, weil sie sich für Frauenrechte einsetzt und viele, vor allem Männer, jetzt endlich ein Ventil dafür gefunden hätten. Die anderen (die deutlich mehreren) sagen, dass sie sich nicht zu wundern brauche: Wer jahrzehntelang mit dem moralischen Zeigefinger in jeder Talkshow herumgestochert hat, werde bei einem Fehler eben auch daran gemessen. Im Netz, aber nicht nur, tobt sich diese Debatte gerade groß aus.
Der „Spiegel“ hatte zuerst über die Steuerbeichte der 71-jährigen Frauenrechtlerin berichtet – auch das wird von ihr heftig kritisiert, dass der Fall überhaupt öffentlich gemacht wurde. Sie hatte Selbstanzeige erstattet (weswegen es jetzt auch über dieses Instrument neue Debatten gibt) und 200 000 Euro für zehn Jahre nachgezahlt, weil sie die Zinsen auf ein Schweizer Konto nicht ordnungsgemäß versteuert hat.
Auch Jörg Kachelmann geht auf sie los
Die Kritik entzündet sich jetzt an mehreren Punkten. Erstens, dass sie überhaupt Steuern hinterzogen hat. Zweitens, dass sie nur für den nicht verjährten Teil nachgezahlt hat, nämlich zehn Jahre. Da das Konto seit ihren eigenen Angaben seit den 80er Jahren existiert hat, behält sie somit die Erträge aus weiteren 20 Jahren, ohne sie zu versteuern. Viele fordern bei Twitter und anderen Netzwerken, dass sie die gesamte Summe nachversteuert. Was sie verweigert, weil sie es juristisch nicht muss. Drittens, dass sie gleichzeitig Steuern hinterzogen, aber massiv dagegen protestiert hat, als ihr Steuerzuschüsse für ihr feministisches Archiv gekürzt werden sollten. Und viertens ihre Begründung: Sie habe das Schweizer Konto quasi anlegen müssen, weil sie in Deutschland so stark kritisiert wurde, dass sie ein Fluchtdepot brauchte. Mag ja sein, sagen viele, aber das sei keine Begründung dafür, die Erträge daraus dem Fiskus zu verschweigen.
Und darüber ist nun die große Debatte entbrannt. Es beteiligen sich einige, die sowieso alte Rechnungen mit ihr offen haben, etwa Ex-Wetterfrosch Jörg Kachelmann. Sie stelle sich als Opfer eines Rufmords dar. Aber auch viele andere, die Schwarzers Positionen grundsätzlich nicht abgeneigt sind, gehen deutlich auf Distanz. Die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt twitterte: „Eine moralische Instanz?“
"Wahrscheinlich hat sie ein Vater-Staat-Problem"
Der Hauptvorwurf gegen Schwarzer lautet „Doppelmoral“. „45 Jahre Zeigefinger, 30 Jahre Steuern hinterziehen, 20 Jahre steuerfrei, zehn bezahlen. Ich weiß auch nicht, warum man Schwarzer kritisiert“, schreibt ein Nutzer sarkastisch auf Twitter. Ein anderer: „Sie muss vor Scham im Boden versinken, statt jetzt mit der ihr üblichen Selbstgerechtigkeit andere anzugreifen.“ Oder: „Wahrscheinlich hat sie ein Vater-Staat-Problem.“ Oder: „Bei ihren Angriffen gegen den Spiegel könnte man meinen, dass das Magazin Milliarden mit Prostitution verdient.“ Schwarzer hatte bei ihrer Erklärung einen Zusammenhang zwischen der Veröffentlichung und ihrer jüngsten Kampagne gegen Prostituion hergestellt.
Der Moderator Jürgen Domian nahm auf seiner Facebook-Seite gegen sie Stellung – und hatte am Dienstag früh schon über 17 000 „Likes“. Er stört sich vor allem an ihrer Begründung mit der vielen Kritik, die sie in die Schweiz getrieben habe. „Im Grunde sind also die bösen, deutschen Männer schuld.“
Wird Hoeneß Schwarzer trösten?
In diesem Punkt wird sie aber auch verteidt. Nutzer Autopoiesis schreibt bei Twitter: „Dass Schwarzer im Laufe ihres Lebens massiv bedroht wurde und Angst hatte, halte ich für weder abwegig noch lustig.“ Ein anderer: „Nicht Geldgier, sondern Angst hat sie zur Steuerhinterziehung getrieben.“ Auf unserer Seite www.abendzeitung-muenchen.de schreibt eine "Leserin": "Jetzt melden sich alle die die sich schon immer von ihr auf den Schlips getreten gefühlt haben. Gnadenlos wird sie von Männern und Frauen auseinandergenommen und beschimpft. Eines muss man den Männern lassen und da können wir Frauen von ihnen lernen: sie sind solidarischer untereinander." Manche ärgern sich generell über anonyme Kritiker. "Ella" schreibt auf Twitter: „Wie schön, dass all die tapferen Steinewerfer im Internet jetzt wieder was zu tun haben.“ Oder sie verweisen darauf, dass der Kampf für Frauenrechte nicht mit einer Person steht oder fällt.
So gibt es einen ähnlichen Effekt wie bei Bayern-Präsident Uli Hoeneß. Manche wundern sich: gerade diese Person? Doch die jeweiligen Fans halten erst recht zum ertpappten Steuersünder. Und viele spotten schon, die beiden könnten sich ja jetzt gegenseitig trösten.
Schwarzer versucht es jetzt mit etwas Wiedergutmachung. Sie kündigte die Gründung einer Stiftung für Chancengleichheit an, in diese zunächst eine Million Euro stecken will. Das sei seit Monaten geplant gewesen, wegen der Debatte habe sie sich schon jetzt zur Veröffentlichtung entschlossen, sagte die Herausgeberin der Emma. Richtig besänftig hat das die Debatte aber bisher nicht – viele verweisen darauf, dass man auch mit Stiftungen prima Steuern sparen kann.
Das Magazin Titanic schreibt spöttisch eine gefakte Stellungnahme aus ihrer Sicht: „Fehler zu machen ist falsch. Aber ich habe meinen Fehler gestern eingesehen, und heute bin ich ein besserer Mensch. Wer das nicht akzeptiert, misshandelt und schlägt wahrscheinlich auch Frauen.“