Agenten-Ehepaar: Spionage in der Provinz

Wie im Kalten Krieg: Getarnt mit falschen Identitäten hat ein Ehepaar jahrzehntelang für den russischen Auslandsnachrichtendienst spioniert. Jetzt steht das Agenten-Duo vor Gericht
Stuttgart - Die Geschichte klingt wie aus einem Agenten-Thriller – nur spielt sie in der deutschen Provinz. 23 Jahre lang soll ein Ehepaar für den russischen Auslandsnachrichtendienst SWR spioniert haben. Seit Dienstag müssen sich die beiden vor dem Oberlandesgericht Stuttgart wegen „geheimdienstlicher Agententätigkeit“ verantworten. Dem Paar, dessen wahre Identität und Nationalität bis jetzt nicht bekannt ist, drohen bis zu zehn Jahren Gefängnis.
Es ist einer der spektakulärsten Spionagefälle seit dem Mauerfall. Gut getarnt hinter einer bürgerlichen Fassade mit Haus, drei Autos und gemeinsamen Kind, sammelte das Paar Informationen über politische und militärpolitische Strategien der Europäischen Union und der Nato, etwa zu Afghanistan, Libyen und dem Kosovo. Laut Anklage aktivierten sie dafür etwa einen in Finanznöte geratenen Mitarbeiter des niederländischen Außenministeriums. Durch einen dritten Agenten bekamen sie jahrelang Dokumente aus dem österreichischen Außenministerium.
Über tote Briefkästen und das Internet lieferten sie das Material direkt nach Moskau. Anweisungen kamen über Funk, via Satellit schickten sie ihre Antworten. Als „Alpenkuh1“ tauschte sich „Heidrun Anschlag“ auf YouTube mit ihrem Führungsoffizier aus, berichten "Spiegel" und "FAZ".
Ende der 1980er Jahre kam das Paar mit gefälschten österreichischen Pässen nach Deutschland. Als „Andreas“ und „Heidrun Anschlag“ lebten sie in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Hessen. Ihren Akzent erklärten sie mit einer Kindheit in Südamerika.
„Heidrun Anschlag“ war Hausfrau. Ihr Mann arbeitete als Ingenieur bei verschiedenen Automobilzulieferern. Mit einer Stelle in einem Rüstungsbetrieb klappte es nie. Zum deutschen Gehalt kamen jährlich 100000 Euro aus Moskau.
2011 bekam die deutsche Spionageabwehr von einem befreundeten osteuropäischen Nachrichtendienst und den Amerikanern einen Hinweis auf die Spione und schlug zu, als diese offensichtlich ihre Abreise vorbereiteten. Als die GSG9 das Haus der Familie stürmte, soll „Heidrun Anschlag“ am Kurzwellenempfänger gesessen haben.
Im Prozess wollen die Angeklagten sich nicht zu ihren Personalien und den Vorwürfen äußern. Sie hoffen auf einen Agentenaustausch mit Russland. Verteidigt werden sie vom Münchner Anwalt Horst-Dieter Pötschke. Der kennt sich mit Spionen aus – er vertrat schon Kanzleramts-Spion Günter Guillaume, über den einst Willy Brandt stürzte.