50 Jahre Porsche 911: AZ-Redakteur testet alle Typen
Seit 50 Jahren baut Porsche den erfolgreichsten Sportwagen der Welt. Unser Reporter durfte alle 911er fahren. Er erklärt die Faszination – und was sich geändert hat
Der freundliche Kollege, der gerade aus dem Prachtstück aussteigt, gibt mir im Weggehen noch einen guten Tipp: „Der Erste ist unten links!“
Unten links – der Erste? Eine Zehntelsekunde später hat mein Gehirn die Information aufgeschlüsselt: Er meint den ersten Gang. Netter Hinweis. Sonst hätte ich mich vermutlich gleich beim Anfahren ziemlich blamiert. Und das knapp 50 Jahre alte Stück Motorsportgeschichte, den Ahnen einer seit dem Jahr 1963 andauernden Erfolgsgeschichte aus dem Hause Porsche, schlicht abgewürgt.
Also rein in den blauen Porsche 911, von Kennern nur „Ur-Elfer“ genannt. Die Sitze geben nicht besonders viel Seitenhalt, das Lenkrad ist riesig groß, die Schaltwege einen gefühlten Meter lang. Kopfstützen gibt es nicht. Aber immerhin einen Zweipunkt-Gurt. Und das soll jetzt ein Sportwagen sein? Mehr noch: der Urmeter des Sportwagenbaus schlechthin seit einem halben Jahrhundert?
Jeder Zweifel an dieser Tatsache verstummt schlagartig, wenn der wie bei jedem 911er links platzierte Zündschlüssel gedreht wird. Sonores Brabbeln und Brummen dringt nach vorne in den Passagierraum. Ein paar Gasstöße, „den Ersten“ links unten gesucht, Kupplung kommen lassen. Er fährt. Und das sehr eindrucksvoll. Denn wir sind hier wegen des 50. Geburtstags des erfolgreichsten Sportwagens der Welt nicht zur gemütlichen Spazierfahrt ins Porsche-Entwicklungszentrum in Weissach gekommen. Hier wird Gas gegeben. Und wie.
Der Instruktor, der das sündteure Schätzchen und mich bei den Runden über die 2,7 Kilometer lange Erprobungsstrecke voller Steil- und Hundskurven in einer Art begleitetem Fahren eskortiert, gibt gleich per Walkie-Talkie die Marschroute vor: „Ich will keine Zeit zum Blumenpflücken haben!“ Will heißen: Gib Gummi, lass den Zweiliter-Boxermotor mit seinen sechs Zylindern und den strammen 130 PS ordentlich jubeln.
Die ersten Meter und Kurven gehe ich angesichts des Respekts vor dem Alter und der Bedeutung dieses Untersatzes noch ein bisschen verhalten an. Dann wächst das Vertrauen in den Ur-Elfer – und der Spaß.
Sehr eindrucksvoll, was dieses Stück Automobilgeschichte noch an Dynamik auf die Straße bringt, wie nachdrücklich es auf Gasbefehle reagiert. Wie gut sich pures Autofahren ohne Servolenkung, ohne ESP und ABS, ohne jedes Assistenzsystem anfühlt. Und wie schnell der blaue Renner auf der Zielgeraden auf 160, 170 Stundenkilometer kommt. Wer ein bisschen mehr Anlauf hat, schafft sogar 210 Sachen.
50 Jahre 911 – ein ungewöhnliches Jubiläum. Inzwischen wird die siebte Generation produziert. Ein Ende der Erfolgsgeschichte mit über 820.000 gebauten Neunelfern ist nicht in Sicht. Woran kann das liegen? Einer, der das genau beurteilen kann, ist auch zum großen Familientreffen mit 17 Fahrzeugen aus sieben Generationen gekommen. Eberhard Mahle war Mitte der 1960er einer der Ersten, der bei Bergrennen mit einem 911er gegen schier übermächtige, zum Teil doppelt so starke Konkurrenz erfolgreich war, der einen Wettbewerb nach dem anderen gewann.
„Wenn man alle Eigenschaften zusammen nimmt, ist der Neunelfer der beste Sportwagen der Welt“, sagt der inzwischen 80-Jährige, der aktuell seinen 18. Porsche bewegt, einen Carrera S. „Er ist am harmonischsten abgestimmt und am universellsten einsetzbar.“
Damit liegt Eberhard Mahle exakt auf der Linie des 911-Erfinders und Firmenchefs Ferry Porsche, der die außergewöhnliche Vielseitigkeit seines Meisterstücks schon vor Jahrzehnten so erklärt hat: „Der 911 ist das einzige Auto, mit dem man von einer afrikanischen Safari nach Le Mans, dann ins Theater und anschließend auf die Straßen von New York fahren kann.“
Gut, das ist jetzt für Otto Normalverbraucher schon wegen der erheblichen Entfernungen zwischen den einzelnen Einsatzorten ein bisschen kompliziert. Und auch wegen der doch nicht wirklich volkstümlichen Preise für ein solches Fahrzeug. Aktuell beginnt die 911er-Preisliste immerhin bei 90.417 Euro. 1963 war das Coupé 21.900 Mark teuer – ein Käfer kostete gerade mal 5000 Mark.
Wobei mein Kollege Yoshi, mit dem ich nach den Fahrten mit diversen 911-Inkarnationen aus allen Generationen über die Erprobungsstrecke gerade mit einem mit geschmackssicherem senfgelbem Leder ausstaffierten 911er der Modellgeneration 996 durchs Ländle fahre, durchaus relativ billige Porsches kennt. Eben genau unseren von 1997 bis 2004 gebauten Untersatz. Wegen seiner etwas verunglückten Scheinwerfer wird die fünfte Generation von 911er-Enthusiasten missbilligend „Spiegelei“ genannt. „Das bekommst du für 20 000 Euro“, sagt Yoshi. „Das Spiegelei-Cabrio will bei uns keiner haben.“
„Bei uns“ heißt allerdings in diesem Fall Japan. Und das hilft mir jetzt auch nur bedingt weiter. Also halte ich mich an das überreiche Angebot, das das Porsche-Museum zum runden Geburtstag rausgerückt hat und das ziemlich exakt wie ein in Blech und Lack Wirklichkeit gewordener Männertraum wirkt: Ur-Elfer, Targas, Turbos, Speedster, Cabrios, Carreras, einer schöner und besser erhalten als der nächste.
Beim Gruppenfoto im Hof des Klosters Maulbronn wird erst so richtig deutlich, wie treu sich das 911-Design geblieben ist über dieses halbe Jahrhundert. 911 bleibt 911. Schnell, alltagstauglich, vielseitig einsetzbar, teuer. Vom 130 PS-Coupé Ferry Porsches bis zur siebten Generation mit mindestens 350 PS.
Wenn ich mir einen hätte raussuchen können, ich hätte einen Ur-Elfer genommen. Nicht das Coupé, sondern den Targa von 1967 mit rausnehmbarem Stoffdach. 911 pur mit viel Frischluft und dem Sound der Automobil-Geschichte im Ohr.
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