13 Jahre altes Mädchen neun Jahre versteckt
LÜBBENOW - Eltern aus Brandenburg lassen ihre 13-jährige Tochter in totaler Isolation aufwachsen – das Jugendamt weiß davon und schreitet trotzdem nicht ein.
Es ist eine dieser Familiengeschichten, die fassungslos machen: Den Großteil seines bisherigen Lebens hat ein 13-jähriges Mädchen aus Brandenburg in Isolation verbracht – weil die Eltern es so wollten. Das geistig und körperlich behinderte Kind wurde zu Hause versteckt, durfte nicht in die Schule und hatte keinerlei Kontakte in die Außenwelt. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen das arbeitslose Elternpaar. Das verwahrloste Mädchen wird in einer Klinik versorgt.
Für Empörung sorgte die Information, dass das zuständige Jugendamt Prenzlau offenbar seit vier Jahren von dem Fall wusste, ohne einzuschreiten. Bürgermeisterin Christine Wernicke sagte, ihrer Verwaltung sei aufgefallen, dass das Kind nicht eingeschult wurde. Das übergeordnete Jugendamt sei informiert worden, habe aber wohl nichts unternommen. Brandenburgs Bildungsminister Holger Rupprecht (SPD) erklärte das mit einer erst seit 2005 wirksamen Schulrechtsverschärfung: Erst seitdem müssen Eltern mit ihren Kindern persönlich zur Schulanmeldung erscheinen. Anlass für diese Neuregelung war der Fall eines sechsjährigen Jungen aus Cottbus, den seine Mutter verhungern ließ, als der Einschulungstest bereits zehn Monate überfällig war.
Im Fall Lübbenow waren die Eltern vor neun Jahren aus Berlin zugezogen. Seitdem wurde das Mädchen von den Eltern wohl gezielt versteckt. Der größere Bruder und die kleinere Schwester gingen dagegen völlig regulär und unauffällig in die Schule.
„Wir alle wussten gar nicht, dass sie ein drittes Kind hatten“, sagte Anwohner Christian Neuenfeldt gestern. Die Nachbarn erzählten, das Paar lebe isoliert von der Dorfgemeinschaft: „Man hat sie nur ganz selten gesehen“. Auch das Haus macht einen heruntergekommenen Eindruck.
Allerdings: Völlig unbekannt kann die Existenz des dritten Kinds nicht gewesen sein. Denn es war ein Anwohner, der sich vor kurzem an die Behörden gewandt hatte: mit der Information, das Kind sei schon seit Jahren nicht mehr aufgetaucht.
Wenigstens gab es offenbar keine Gewalt: Staatsanwalts-Sprecher Jürgen Schiermeyer sagte, das Kind sei nicht „in einem Kellerloch, einem Verlies oder Ähnlichem“ eingesperrt worden. Dafür wiegt ein anderer Verdacht schwer: dass sich die Behinderungen durch die Isolation verschlimmert haben. Die Staatsanwälte wollen dem nachgehen: Sie ermitteln wegen „Verletzung der Fürsorgepflicht“ und „Misshandlung Schutzbefohlener“.
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