100 Jahre Freude am Ärgern

Ein Münchner Original: Der Händler Josef Schmidt erfand in seiner Wohnküche in der Au „Mensch ärgere dich nicht“. Seit 100 Jahren ist es das Lieblingsspiel der Deutschen.
von  Leonard Maier
Diese heitere Spielerunde kam 1920 zusammen.
Diese heitere Spielerunde kam 1920 zusammen. © Schmidt Spiele

Der Viktualienmarkt-Händler Josef Schmidt erfand in seiner Wohnküche in der Au den zeitlosen Klassiker „Mensch ärgere dich nicht“. Seit 100 Jahren ist es das Lieblingsspiel der Deutschen

München - Wahrscheinlich hat sich jeder schon in der ein oder anderen Partie geärgert, wenn die eigene Figur kurz vor dem Ziel geschlagen wurde – oder den Spieß umgedreht und sich hämisch Freude. Vor 100 Jahren begann der Siegeszug des Brettspiels „Mensch ärgere dich nicht“ in Deutschland. Seitdem wurden über 90 Millionen Exemplare des Dauerbrenners verkauft.

Die Geschichte des „populärsten Spiels der Nation“ reicht lange zurück: Im sechsten Jahrhundert spielten Adelige in Indien das sehr ähnliche „Pachisi“ – auf überdimensionalen Spielfeldern waren ihre Bediensteten die Figuren. Englische Reisende brachten das Spiel dann nach Europa. Auch in Deutschland gab es erste Adaptionen, blieb aber eher unbekannt.

1907 war Josef Friedrich Schmidt, ein Fierant, also Händler, auf dem Viktualienmarkt, auf der Suche nach einer Beschäftigung für seine Kinder, die allzu gerne in der engen Wohnung im damaligen Armeleute-Viertel Au herumtobten. Er ließ sich vom historischen Vorbild inspirieren, entrümpelte das Regelwerk und schnitzte, schnitt und malte aus einem verbeulten Hutkarton und mit kleinen Holzklötzchen das „Mensch ärgere dich nicht“, wie man es heute kennt.

Beim ersten Test waren seine Kinder sofort begeistert. In seiner Wohnküche begann Schmidt, das Spiel in Serie zu produzieren.

Der Erfolg blieb aber zunächst aus, Schuld war der Erste Weltkrieg. Schmidt kam die rettende Idee: Er investierte in seine Idee und spendete 3000 handgefertigte Exemplare an Soldaten in deutschen Lazaretten. Das unkomplizierte, gesellige Spiel kam bei den Männern gut an und fand seinen Weg sogar in die Schützengräben. Die Soldaten brachten es dann mit heim zu ihren Familien – und die Erfolgsgeschichte nahm ihren Lauf. Noch heute werden jährlich 400.000 Exemplare verkauft.

Simone Michel-von Dungen, Direktorin des Museums „Malerwinkelhaus“ im unterfränkischen Marktbreit, erklärt sich den bahnbrechenden Erfolg so: „Es ist ein Spiel ohne Hierarchien – jeder kann gegen jeden gewinnen.“ Der Enkel kann also die Oma besiegen und umgekehrt. In Marktbreit widmet man dem „deutschesten aller Spiele“ sogar eine eigene Ausstellung.

Im Laufe der Jahre entstanden zahlreiche Nachahmer des Spielprinzips, oft auch politisch beeinflusst. Beim kommunistischen „Mensch ärgere dich nicht“ gibt es nur die Farbe Rot. Alle Spielsteine dürfen von jedem „Genossen“ bewegt werden, Hauptsache man bringt vier davon ins Ziel.

Bis heute hat sich aber nur das zeitlose Original gehalten. In beinahe jedem Haushalt in Deutschland findet man eine Ausgabe. Mittlerweile kann man sich auch per App auf dem Smartphone mit Freunden duellieren. Auf einen Funken Nostalgie muss man aber auch in Zukunft nicht verzichten: Seit neuestem gibt es eine Variante mit gebrauchter Optik zu kaufen – inklusive Holzfiguren und Kaffeeflecken auf dem Spielbrett.

Die Faszination ist weiterhin ungebrochen. Der Rekord im Dauerspielen liegt bei 204 Stunden – das sind über 8 Tage am Stück. Sogar unter Wasser wird gewürfelt und gezogen: 36 Stunden lang lieferten sich spielverrückte Taucher eine Partie nach der nächsten. Seit 2010 finden außerdem alle zwei Jahre die offiziellen „Mensch ärgere dich nicht“-Weltmeisterschaften statt.Leonard Maier

 

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