Zwischen Schnuller und Politik: Wie ist es als Stadtrat mit Kindern?

München - Politik wird zwar schon lange nicht mehr beim Zigarrerauchen im Hinterzimmer gemacht, trotzdem ist es nicht einfach, das Stadtratsmandat und die Familie unter einen Hut zu bringen.
Denn Stadtrat zu sein, ist in München kein richtiger Beruf, sondern ein Ehrenamt, für das man eine Aufwandsentschädigung bekommt. Ein normales Stadtratsmitglied erhält 2.899 Euro, für Fraktionsvorsitzende sind es 5.720 Euro. Viele Stadträte arbeiten zusätzlich in ihren Berufen, zumindest in Teilzeit. Idealerweise sollte der Stadtrat die komplette Münchner Stadtgesellschaft abbilden.
Doch wie schaffen Eltern den Spagat zwischen Arbeit, Ehrenamt und Kinderbetreuung? Die AZ hat bei vier Stadträten nachgefragt.
Lena Odell: "Ich habe in der ersten Reihe gestillt"

"Mensch, das ist ja toll, dass dein Mann dich so unterstützt." Das ist ein Kommentar, den sie sich oft anhören musste und der sie jedes Mal ärgerte, erzählt Lena Odell. Sie sitzt seit zwei Jahren für die SPD im Münchner Stadtrat und ist Mitglied des Münchner Parteivorstands. Außerdem hat sie zwei Söhne, drei und sieben Jahre alt. Wenn der Mann mal auf die Kinder aufpasst, damit sie zu einer Sitzung kann, halten viele das immer noch für ein totales Wunder, sagt die 37-Jährige. Früher habe sie bei SPD-Parteitagen ihr Baby auch mal in der ersten Reihe gestillt. "Ich habe das knallhart durchgezogen”, sagt Odell. Egal, wie schief die Blicke waren. Dass seit Corona viele Veranstaltungen online stattfinden, habe so manches einfacher gemacht und die Atmosphäre verändert.
"Inzwischen hat jeder schon mal die Kinder der anderen vor dem Bildschirm herumspringen sehen”, sagt Odell. Trotzdem sei es nicht einfach, das Stadtratsmandat mit dem Elterndasein unter einen Hut zu bringen. Schließlich ist das Mandat bloß ein Ehrenamt. Odell arbeitet außerdem 30 Stunden die Woche als Übersetzerin. Wenn das wegfiele und sie Vollzeit (so wie Landtagsabgeordnete auch) ihrem Amt nachgehen könnte, würde das vieles einfacher machen, glaubt Odell. Sitzungsvorlagen zu lesen, wäre dann schließlich Teil ihrer Arbeitszeit.
Jetzt muss sie das am Abend erledigen. "Manchmal habe ich das Gefühl, da zerreißt es einen", sagt sie. Helfen würde aus ihrer Sicht außerdem, wenn Sitzungen zu verbindlichen Zeiten enden. "Damit man weiß, ob man einen Babysitter braucht." Momentan nimmt sich ihr Mann meistens frei, wenn mittwochs der Stadtrat tagt. Denn da lässt sich nie abschätzen, wie lange es dauert. Auch ein Abholservice vom Hort oder der Kita wäre wünschenswert. Und sie hofft, dass auch nach der Pandemie zumindest darüber diskutiert wird, ob Sitzungen online abgehalten werden können.
Sebastian Weisenburger: Ein zeitliches Limit für Wortbeiträge

Politik soll keine Veranstaltung für Leute ohne Privatleben sein, fordert Sebastian Weisenburger (39). Er sitzt seit 2018 für die Grünen im Münchner Stadtrat und ist außerdem Vorsitzender des Bezirksausschusses Untergiesing-Harlaching. Seine beiden Kinder sind sieben und vier Jahre alt. Bevor er in den Stadtrat gewählt wurde, hat Weisenburger für die TU München Öffentlichkeitsarbeit gemacht. Doch dieser Job sei nicht leistbar - mit seinen Ehrenämtern, die mindestens so viel Zeit fressen wie eine Vollzeitstelle - und zwei kleinen Kindern.
Vielleicht gebe es mehr Eltern, die Lust auf ein solches Amt hätten. "Doch viele stellen sich die Frage, ob sie das überhaupt schaffen", sagt Weisenburger. Besonders wichtig findet er deshalb, dass sich die Haltung und die Kultur unter den Politikern ändern. "Dazu gehört zum Beispiel, dass Sitzungen sich nicht bis in die Puppen ziehen", sagt Weisenburger. Seit dieser Wahlperiode tagt die Grünen-Fraktion montags bloß noch bis 17 Uhr. Weisenburger kann sich auch vorstellen, dass es für Wortbeiträge im Stadtrat ein zeitliches Limit gibt. Doch dafür bräuchte es eine starke Mehrheit über alle Fraktionen hinweg.
Hybride Sitzungen sollte es aus seiner Sicht auch nach Corona geben. Bis jetzt hat der Stadtrat diese Möglichkeit auf die Pandemie begrenzt. "Aber was ist, wenn mein Kind in der früh aufwacht und Fieber hat?", fragt Weisenburger. Für den Ausschuss, der um 9.30 Uhr beginnt, lasse sich so schnell kein Ersatz organisieren, der die Rede, die man vorbereitet hat, halten kann. Auch er stellt sich, wie seine Kollegin Lena Odell von der SPD, oft die Frage, wer seine Kinder abholt, wenn ein Termin kurzfristig doch mal länger dauert.
Alexandra Gaßmann: Ein Zuschuss für den Babysitter

Das Stillzimmer im Rathaus sei so ungemütlich, dass es sie nicht wundern würde, wenn dort jemand aus Versehen einen Putzeimer abstellen würde, sagt Alexandra Gaßmann (CSU). Sie hat neun Kinder, doch gestillt hat sie in dem Raum, in dem bloß eine Krankenliege steht, nie. Denn in den Stadtrat kam sie erst, als ihr jüngstes Kind sieben Jahre alt war. "Vorher wäre das gar nicht machbar gewesen", sagt Gaßmann.
Sie arbeitet außerdem halbtags bei der Polizei. Ihre Sitzungsunterlagen lese sie meist an den Sonntagen. Im Schnitt nehme das Ehrenamt locker 40 Stunden die Woche in Anspruch, schätzt sie. Damit der Stadtrat wirklich die Gesellschaft abbilden kann, müssten die Mitglieder zumindest besser abgesichert sein, findet sie. Denn Stadträte müssen sich momentan selbst um ihre Kranken- und Rentenversicherung kümmern.
Außerdem findet Gaßmann es sinnvoll, wenn Stadträte so wie Bezirksausschuss-Mitglieder einen Zuschuss für einen Babysitter bekommen würden. "Denn ein kleines Kind kann man schließlich nicht einfach irgendwem in den Arm drücken", meint Gaßmann. Die Eltern müssen der Person vertrauen und die Kinder sie kennen. Unter den Stadträten sei es inzwischen normal, wenn jemand mal ein Baby dabei hat. Früher im Bezirksausschuss sei das doch anders gewesen.
Marie Burneleit: "Ich fühle mich oft zerrissen"

Zerrissenheit ist das Wort, mit dem Marie Burneleit ihre Situation beschreibt. Sie wurde 2020 zum ersten Mal für Die Partei in den Stadtrat gewählt. Die Satirepartei bildet eine Fraktion mit der Linken, Burneleit ist eine der Fraktionsvorsitzenden. Ihr Sohn ist fast 18 und wohnt bei seinem Vater. Ihre Tochter ist zehn und lebt bei ihr.
Als Alleinerziehende sei sie oft gestresst, sagt Burneleit. Sie habe manchmal das Gefühl, sowohl ihrer Rolle als Mutter als auch ihrem Amt nicht ganz gerecht zu werden. Schließlich sei da kein Partner, der irgendetwas auffange. "Und Politik ist eben nicht um 18 Uhr beendet", sagt sie. Zwar finden die Sitzungen des Stadtrats tagsüber statt, doch viele Kommissionen, Jurys und Runde Tische treffen sich am Abend, wenn andere Feierabend machen - und wenn ihre Tochter aus der Schule kommt.
Ihre Termine priorisiere sie und manche nehme sie nicht wahr - obwohl sie interessant wären. Viel mehr Sitzungen und Veranstaltungen müssten hybrid abgehalten werden, findet Burneleit. Dass darunter die Debattenkultur leiden soll, wie manche behaupten, halte sie für einen "großen Schmarrn". Trotzdem hat das Amt Vorteile. Als Fraktionsvorsitzende muss sie sonst keinen anderen Job wahrnehmen und kann ihre Zeit frei einteilen. Wenn es bloß eine extra Betreuung für Kinder der Stadträte im Rathaus geben würde, hielte sie das für ungerecht. "Die Rathaus-Mitarbeiter müssen das schließlich auch hinbekommen."