Zweite Stammstrecke in München: Dreht der Bundestag den Geldhahn zu?

Berlin soll 60 Prozent der Kosten für die Zweite Stammstrecke übernehmen, die stetig teurer wird und immer länger dauert. Nun will der Haushaltsausschuss im Bundestag erst mal eine neue Überprüfung des Großprojekts in München.
von  Heidi Geyer
Da haben sie noch gelächelt: Dieter Reiter, Ronald Pofalla, Joachim Herrmann, Horst Seehofer, Alexander Dobrindt, Klaus-Dieter Josel, Richard Lutz und Utz-Hellmuth Felcht 2017 beim Festakt zum Baubeginn der Zweiten Stammstrecke.
Da haben sie noch gelächelt: Dieter Reiter, Ronald Pofalla, Joachim Herrmann, Horst Seehofer, Alexander Dobrindt, Klaus-Dieter Josel, Richard Lutz und Utz-Hellmuth Felcht 2017 beim Festakt zum Baubeginn der Zweiten Stammstrecke. © dpa

München - Es ist ein bisschen wie nach dem Kneipenabend, der völlig aus dem Ruder gelaufen ist: Zum Schluss muss einer die Rechnung begleichen und darüber gibt es oft Streit.

So verhält es sich bei der Zweiten S-Bahn-Stammstrecke. Statt 3,8 Milliarden soll sie nun 7,2 Milliarden oder gar noch mehr kosten, während die Züge nicht schon 2028, sondern erst 2037 fahren werden. Oder eben noch später. Wie es dazu kam, wer wann etwas verschlafen hat – das klärt gerade ein Untersuchungsausschuss im Bayerischen Landtag.

Zweite Stammstrecke wird genau unter die Lupe genommen

Nun beschäftigt sich aber auch der Bundestag mit der Angelegenheit. Denn der Bund hatte eingewilligt, 60 Prozent der Kosten zu übernehmen. Das steht nun auf der Kippe, weil der Bundestag zustimmen muss. Der Haushaltsausschuss nimmt das Projekt nun genauer unter die Lupe.

Schon im Vorjahr hatte es Tumulte gegeben, als ein Pressesprecher des Bundesverkehrsministeriums die Finanzierungsvereinbarung infrage gestellt hatte. Denn obwohl alles teurer wird, enthält der Vertrag keine Regel zum Fall von Kostensteigerungen. "Die Verantwortung für die Sicherstellung der Gesamtfinanzierung des Vorhabens liegt nach dieser Erklärung beim Freistaat Bayern", hieß es lapidar.

Nachdem der bayerische Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) darüber "not amused" war und protestierte, ruderte das Ministerium nur eine Woche später zurück. Sofern die Fördervoraussetzungen vorlägen, zahle der Bund, so der Staatssekretär aus dem Bundesverkehrsministerium.

Streicht der Bund die Förderungen für die Zweite Stammstrecke?

Nur ist das Vorliegen der Fördervoraussetzungen bei diesem Projekt alles andere als sicher. Eine Nutzen-Kosten-Untersuchung (NKU) wurde mehrfach errechnet. Dabei geht es um die Frage, wie groß die Vorteile und der Bedarf einer zweiten Röhre für die Gesellschaft sind im Vergleich zu den Kosten.

Wie aus einem Bericht des Bundesrechnungshofs hervorgeht, der der AZ vorliegt, sah es schon 2017 äußerst knapp aus. Der NKU-Faktor lag nur bei 1,05. Das Bundesverkehrsministerium wurde damals gebeten, die Risikokosten noch mal genau unter die Lupe zu nehmen. Schließlich hätten überraschende Steigerungen das Projekt schnell unprofitabel machen können. Sind doch nur Projekte bei einem Faktor über 1 förderfähig.

Kosten für die Zweite Stammstrecke: Alexander Dobrindt hüllt sich in Schweigen

Nur: Das Bundesverkehrsministerium unter damaliger Führung des Christsozialen Alexander Dobrindt lehnte dies ab. Der Bundesrechnungshof bleibt bei seiner Auffassung. Er hat Zweifel an der Wirtschaftlichkeit des Vorhabens.

Heute rechnet sogar Dobrindts Parteifreund Jürgen Baumgärtner, stellvertretender Vorsitzender im U-Ausschuss im Landtag, mit letztlich 14 Milliarden Euro. Die AZ bat Dobrindt um Stellungnahme, allerdings lag bis Redaktionsschluss keine Antwort vor.

Die Münchner Bundestagsabgeordnete Jamila Schäfer (Grüne) berichtet der AZ, dass das brisante Dokument des Bundesrechnungshofs von 2018 erst kürzlich dem Haushaltsausschuss zugeleitet wurde. Sie wundert sich, dass die Zweifel an der Wirtschaftlichkeit erst fünf Jahre später thematisiert werden. "Laut Bericht des Rechnungshofs sind allerdings bereits bekannte Risikokosten von 673 Millionen Euro unter den Teppich gekehrt worden", sagt Schäfer.

Damit wäre das Projekt eigentlich schon damals nicht förderfähig gewesen. "Der Haushaltsausschuss hat das Bundesverkehrsministerium angehalten, die aktuelle Prognose zur Kostenentwicklung dem Parlament vorzulegen", sagt die Grüne. Geprüft werden soll auch, welche Optionen der Bund hat, mit der Entwicklung und den bisher unterschlagenen Risikokosten umzugehen.

Zweite Stammstrecke: Überteuertes Prestigeprojekt könnte noch teurer werden

Die NKU soll nun noch einmal korrekt und aktuell berechnet werden. Und damit steht die Förderung des Bundes für die Stammstrecke womöglich auf der Kippe, denn wenn der Faktor für die Berechnung unter 1 sinkt, kann der Bund nicht zahlen. Das Problem wäre dann aber noch größer: "Dann hätte der Bund eventuell sogar Rückforderungsansprüche gegenüber Bayern."

Schäfer ist aber auch bewusst, was das für ihren Heimatlandkreis hieße: "Die Münchner haben eine anständige Bahnverbindung verdient. Es ist schlicht unanständig, dass die CSU ein teures Prestigeprojekt plant, dann über Jahre hinweg Kosten und Risiken unterschlägt und nun der Ausbau von Bus und Bahn dadurch wieder auf der Strecke bleiben könnte."

Freie Wähler: Verkehrsprojekte dürfen nicht nur Kostensteigerung der Zweiten Stammstrecke leiden

Diese Sorgen teilen die Freien Wähler. "Andere Verkehrsprojekte im ländlichen Raum dürfen unter der Kostensteigerung der Stammstrecke nicht leiden", sagt FW-Chef Hubert Aiwanger der AZ. Für Schäfer ist jetzt Transparenz nötig, nachdem das Projekt zu lange "schöngerechnet" wurde, "obwohl klar war, dass da noch viele Risiken auf den Steuerzahler zukommen".

Der ehemalige Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hatte im U-Ausschuss die Kritik der Rechnungshöfe als etwas übertrieben dargestellt, so nach dem Motto: Die haben immer was zu meckern. Das sieht Schäfer anders. Der Ausschuss habe den Bundesrechnungshof gebeten, noch einmal beim Obersten Bayerischen Rechnungshof zu dem Thema nachzuhaken. Im Herbst sollen die Informationen zur NKU und die Erkenntnisse der Rechnungshöfe dem Parlament vorliegen.

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