Zweite Stammstrecke: Die totale Tunnel-Misere

MÜNCHEN - Die Bahn muss für die zweite Stammstrecke umplanen, weil sich in Haidhausen die beiden Tunnelabschnitte nicht treffen. Stadtwerke decken gravierende Mängel auf. Der Stadtrat ist verärgert
Eigentlich hat man jetzt erwartet, dass nach den mehr als zehn Jahre währenden Planungen für die zweite Stammstrecke alles Notwendige richtig auf die Schiene gebracht wurde. Doch kurz vor Toresschluss kommen immer neue, noch größere Probleme heraus. Die neue Stammstrecke – eine Stolperstrecke.
Nachdem der Landtag (der für den S-Bahnbau zuständig ist) und der Stadtrat (der nur eine Empfehlung abgeben kann) dem Projekt im Frühjahr zugestimmt hatte, schien eigentlich alles geklärt. Von wegen. Die Stadtwerke haben jetzt gravierende Mängel moniert, von denen der Stadtrat erst diese Woche erfuhr. Das Planungsreferat hatte die Liste schriftlich – sie in einer harmlosen Beschlussvorlage für den Stadtrat gestern aber nicht erwähnt.
Die Mängelliste war nur die allerletzte Anlage in einem mehrere hundert Seiten dicken Papier. Was CSU-Stadtrat Georg Kronawitter in der Sitzung in Rage gebracht hat. Das sind die Probleme:
Die sieben Kilometer lange Strecke ist in drei Abschnitte unterteilt: von Laim zum Hautbahnhof, von dort bis zur Isar und von der Isar bis zum Ostbahnhof. Erst jetzt kam heraus: An der Isar treffen sich die beiden Röhren nicht. In Haidhausen wurde die Röhre ohne Rücksicht auf den Plan für den vorherigen Abschnitt einen Meter tiefer gelegt, um für spätere Zeiten einen Abzweig bauen zu können.
OB Ude soll davon schon seit September gewusst haben. Er hatte Freistaat und Bahn in sein Amtszimmer geholt und eine Task Force gründen lassen. Bahn-Projektleiter Albert Scheller gestern im Stadtrat: „Wir sind noch nicht soweit wie wir sein wollten.“
Am Hauptbahnhof fürchten die Stadtwerke gravierende Probleme für ihre U-Bahnhöfe der U1/U2 und U4/U5. Es gebe keine gesicherten Prognosen, ob die S-Bahnanlage für die neuen Fahrgastströme groß genug ist. Die U-Bahngleise für U4/U5 seien jetzt schon zu eng. Wenn dort gebaut wird, wären sie „nicht mehr verkehrssicher“. In Spitzenzeiten wie dem Oktoberfest müsste es „bis zur Sperrung von Bahnsteigen“ gehen.
Die Bahnsteige der U1/2 seien wegen der zusätzlichen Umsteiger die Fahrtreppen zum Bahnsteig „zukünftig nicht mehr ausreichend leistungsfähig“. Und: Der Bahnsteig könne nicht mehr zügig geräumt werden. Fazit: „Die U-Bahn-Anlagen werden somit überlastet und nicht mehr sicher zu betreiben sein.“
Können die neue Röhre auch Regionalzüge passieren? Das ist eine zentrale Forderung der Stadt, weil so der Regionalverkehr verbessert werden könnte. Auf der einen Seite sagte die Bahn, die Regionalzugtauglichkeit sei „gewährleistet“, es könnten auch Doppelstockfahrzeuge die Röhre passieren. Offen blieb aber, ob das auch für Züge gilt, die es jetzt schon gibt oder erst noch entwickelt werden müssen. Grünen-Stadträtin Sabine Nallinger platzte wegen dieser „Hinhaltetaktik“ der Kragen: „So lassen wir uns nicht länger abspeisen!“
Die Kosten liegen bei 2,02 Milliarden Euro. Mit dem Bund wird um die Zuschüsse verhandelt. Aber erst, wenn ein Bau- und Finanzierungsvertrag zwischen Bahn und Freistaat geschlossen ist, kann zu Ende verhandelt werden. Das soll Ende des Jahres der Fall sein. Der Protest in der Region verschlechtert die Aussichten, da der Berliner Finanztopf nicht für alle reicht.
Der Baubeginn wird ohne Rücksicht auf Planungsprobleme und Klagen immer noch mit 2011 angegeben. Bauzeit: sechseinhalb Jahre.
Selbst der leichteste Abschnitt zwischen Laim und Hauptbahnhof wird umgeplant, obwohl der längst fertig war: Das Genehmigungsverfahren muss wiederholt werden. Willi Bock