Interview

Zwei Münchner über die Städtepartnerschaft mit Be'er Sheva: "Israel war nie so queerfeindlich"

Im Rahmen der Städtepartnerschaft mit Be'er Sheva engagieren sich die Münchner Wolfgang Scheel und Frank Zuber für den Austausch der queeren Menschen in den beiden Städten. Im AZ-Gespräch erklären sie, warum das wichtig ist und was sie verbindet.
von  Julia Wohlgeschaffen
Die Pride Parade in Be'er Sheva. In vielen Nachbarländern Israels wäre so eine Veranstaltung nicht denkbar.
Die Pride Parade in Be'er Sheva. In vielen Nachbarländern Israels wäre so eine Veranstaltung nicht denkbar. © Be'er Sheva Pride House

München - München hat acht Partnerstädte. Be'er Sheva in Israel ist die neueste – das Abkommen wurde am 21. Juli 2021 in einer Online-Konferenz besiegelt. Mit rund 220.000 Einwohnern zählt Be'er Sheva zu den größten und auch zu den am schnellsten wachsenden Städten Israels. Zwei Münchner setzen sich für den Austausch der queeren Menschen in beiden Städten ein.

Im AZ-Interview erzählen der homosexuelle evangelische Pfarrer Wolfgang Scheel (außerdem: Vorstandsmitglied der Rosa Liste) und Frank Zuber (Grafiker beim Christopher Street Day in München), warum sie das tun und welche Erfahrungen sie dabei gemacht haben.

AZ: Herr Scheel, Herr Zuber, Sie organisieren den Austausch zwischen queeren Menschen in München und in Be'er Sheva. Das steht ganz im Kontrast zur Situation in den Nachbarländern Israels, wo Homosexualität meist noch bestraft wird.
WOLFGANG SCHEEL: Die queeren Menschen in Israel sind natürlich froh, dass sie Freiheiten haben, die in nächster Nähe nicht gegeben sind. Die LGBTIQ+-Community ist in Israel ein gleichberechtigter Teil der Gesellschaft.

Münchens Partnerstadt Be'er Sheva: "Nie eine strafrechtliche Verfolgung gegen queere Menschen"

Leben in Israel viele queere Menschen?
SCHEEL: Das Zentrum der queeren Community in Israel ist Tel Aviv, dort sind etwa 20 Prozent der Bevölkerung queer.

Auch in Deutschland wurde Homosexualität lange kriminalisiert. War das auch in Israel einst der Fall?
SCHEEL: Es gab schon Diskriminierung in Israel in den 50er Jahren, aber es gab dort nie eine strafrechtliche Verfolgung wie hier. Israel war in den 50er und 60er Jahren viel liberaler als Deutschland.

Und woran liegt das?
SCHEEL: Das hat auch historische Gründe. Ich würde die Behauptung aufstellen, dass der Staat Israel von Anfang nicht so queer-feindlich war, wie andere Länder. In Israel haben Juden eine Mehrheit. Während des Zweiten Weltkriegs waren Juden zusammen mit Schwulen im KZ eingesperrt, Lesben wurden als "Asoziale" dort eingeliefert. Durch die gemeinsame Vergangenheit gibt es eine Verbindung. Ich würde auch sagen, dass die israelische Bevölkerung deshalb queer-freundlicher ist, als die deutsche. Die Menschen haben die Einstellung "Geh deinen Weg und lass mich meinen gehen."

Queere Menschen in Israel: "Zusammenleben funktioniert, weil Polaritäten sich stehen lassen"

In Israel leben aber auch ultra-orthodoxe Juden mit konservativen Ehe-Vorstellungen. Funktioniert das Zusammenleben dieser streng religiösen Menschen und der Queers?
SCHEEL: Das Judentum ist nicht missionarisch. Natürlich freuen sich ultra-orthodoxe Juden, wenn andere "in Buße zurückkehren", aber das machen sie nicht offensiv. Das Zusammenleben funktioniert, weil Polaritäten sich dort grundsätzlich stehen lassen, zumindest im Alltagsleben. Die Ultra-Orthodoxen leben oft in geschlossenen Stadtvierteln. Es gibt natürlich auch in der ultra-orthodoxen Gemeinschaft queere Menschen. Für sie gibt es geheime Lesben- und Schwulengruppen.

Wolfgang Scheel (l.) und Frank Zuber. Der Schriftzug auf dem Schild ist hebräisch und bedeutet "Stolze Freundschaft" - stolz im Sinne des stolzen Umgangs mit der eigenen sexuellen Identität. Auf Wolfgang Scheels T-Shirt steht "Ich bin gleich" im Sinne von "gleichwertig".
Wolfgang Scheel (l.) und Frank Zuber. Der Schriftzug auf dem Schild ist hebräisch und bedeutet "Stolze Freundschaft" - stolz im Sinne des stolzen Umgangs mit der eigenen sexuellen Identität. Auf Wolfgang Scheels T-Shirt steht "Ich bin gleich" im Sinne von "gleichwertig". © Daniel von Loeper

Halten viele Queers in Israel ihre sexuelle Orientierung geheim?
SCHEEL: Ich weiß noch, als ich das erste Mal in Israel war, 1981. Damals haben queere Menschen dort noch nicht offen gelebt, die Gesellschaft war sehr konservativ. Heute ist das anders.

Warum hat sich das verändert?
SCHEEL: Dass die queere Community so aufgeblüht ist, waren auch die 68er, wie in den westlichen Ländern.

Aktivisten aus München: "Queer und religiös zu sein, schließt sich nicht aus"

Religiös und queer zu sein, ist das ein Widerspruch?
ZUBER: Für einige Queers scheint es ein Kontrast zu sein, religiös und queer zu sein. Viele Menschen leben das aber, zum Beispiel Wolfgang Scheel als schwuler Pfarrer. Queer und religiös zu sein, schließt sich nicht aus.

In München gibt es bereits mit einigen anderen Städten Partnerschaften. Warum bietet sich ausgerechnet Be'er Sheva für den queeren Austausch an?
SCHEEL: Als Angehöriger der queeren Minderheit fühle ich mich der jüdischen Minderheit sehr verbunden, Stichwort Minderheitensolidarität. Es gibt auch in beiden Städten eine starke Tendenz, die queere Community zu unterstützen. Weder in Be'er Sheva noch in München wagt es kaum jemand im Stadtparlament, offen homophob zu agieren. In Jerusalem ist das anders.

Im Mai in Be'er Sheva: Stadträte und Referatsleitungen aus München.
Im Mai in Be'er Sheva: Stadträte und Referatsleitungen aus München. © Dominik Krause

Warum sind die Menschen in Be'er Sheva da toleranter?
SCHEEL: Es liegt bestimmt auch an den vielen Studenten. Dort gibt es vier Universitäten.

Inwiefern unterscheidet sich das Leben als queerer Mensch in München und in Be'er Sheva?
ZUBER: München ist als Stadt viel größer und damit auch die Größe der Community. Unsere Ansprechpartner*innen in Be'er Sheva haben betont, dass die queeren Menschen dort sehr viel zusammen machen. Hier in München haben wir verschiedene Zentren: ein lesbisch-queeres, ein schwul-queeres, die Aids-Hilfe – um nur ein paar zu nennen. Der CSD München ist da dann ein Anlass, um zusammenzukommen und unsere Verbundenheit zu zeigen. In Be'er Sheva allerdings ist alles unter einem Dach, wo die Menschen beispielsweise auch Feiertage zusammen feiern. Wir sind interessiert daran, das kennenzulernen. Als Minoritäten sollten wir zusammenstehen und wir können herausfinden, wie wir die Zentren hier in München in Kooperationen zusammenbringen können.

Und was können die queeren Menschen in Be'er Sheva von München lernen?
ZUBER: Für die Queers dort ist wiederum interessant, was wir mit unseren Mitteln machen, wie beispielsweise mit Förderungen umgegangen wird oder welche Veranstaltungen wir machen.

Was ist das Ziel des Projekts?
ZUBER: Unser Ziel ist es, als queere Communitys voneinander zu lernen und Brücken zu bilden. Wir wollen durch unser Projekt die Unterschiede identifizieren und voneinander lernen. Zudem halten wir es für sehr wichtig, ein starkes und unmissverständliches Zeichen gegen Antisemitismus zu setzen.
SCHEEL: Wir sind als Queers sehr selbstbewusst und wollen uns bei allen städtischen Aktivitäten engagieren – auch bei der Städtepartnerschaft.

"Mich erfüllt es mit Stolz, dass wir als queere Gruppe innerhalb der Städtepartnerschaft vorne sind"

Wie reagiert der Stadtrat auf Ihr Projekt?
ZUBER: Ich freue mich sehr darüber, dass wir da Unterstützung und Zustimmung haben. Mich erfüllt es ein bisschen mit Stolz, dass wir als queere Gruppe innerhalb dieser Städtepartnerschaft vorne dran sind.
SCHEEL: Mir geht es darum, einen Impuls zu setzen, dass viele Menschen sich begegnen, speziell im queeren Bereich. Wir haben als Grün-Rosa-SPD-Volt Koalition das Thema einer Partnerschaft mit einer Stadt in Israel in den Koalitionsvertrag geschrieben und schnell voran gebracht. Mit den Stadträten in der Regierungskoalition sind wir im regelmäßigen Austausch.

Was ist als Nächstes geplant?
ZUBER: Der nächste Schritt ist, den Dialog weiterführen. Wir treffen uns weiter online und führen das fort, was wir begonnen haben - zu reden. Wir werben auch in unserer LGBTIQ*-Community in München weiter für das Projekt und dann wollen wir die Menschen natürlich persönlich kennenlernen, davon lebt eine Städtepartnerschaft ja auch. Ich bin sicher, das wird passieren, wann und wie, das ist jetzt die Aufgabe.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.