Zwangsräumung nach 32 Jahren im eigenen Haus

Vom trauten Heim in die Notunterkunft: Nach 32 Jahren muss ein Münchner Ehepaar sein Häuschen verlassen, weil es zwangsversteigert wurde. Grund ist eine Abwärtsspirale aus Krankheit, Jobverlust, Schulden und spröden Behörden.
von  Von Anja Perkuhn
Susanne F. bei der Zwangsräumung im November.
Susanne F. bei der Zwangsräumung im November. © Daniel von Loeper

München - Das Namensschild an der Doppelhaushälfte ist ein Traum von schöneren Tagen: ein weißes Haus prangt auf dem gebrannten Ton, ein Eckgarten, darüber die Sonne. An dem Schild vorbei tragen Susanne und Wilhelm F. ihre wichtigsten Habseligkeiten, heraus aus einem Heim, das nicht mehr ihres ist: ein paar Mäntel, Medikamente, einen kleinen Heizlüfter. Ein hölzernes Kreuz mit Jesusfigur.

Sie sind gerade zwangsgeräumt worden.

Der Gerichtsvollzieher nimmt ihnen die Schlüssel ab, ein Mitarbeiter tauscht die Schlösser aus. Nach 32 Jahren in dem Zweigeschösser in einer ruhigen Moosacher Wohngegend muss das Ehepaar gehen.

"Demenz, Alzheimer, Morbus – das gilt alles vor Gericht nichts"

„Ich bin doch sowieso schon verzweifelt genug“, sagt Susanne F., Mäntel und Jacken noch über dem Arm. Ihre Hände zittern stark – auch, als sie kurz vor dem Auftauchen des Gerichtsvollziehers in der vollgekramten Küche noch für alle Anwesenden Tee aufgießt. Morbus Menière ist der Grund, eine Erkrankung im Innenohr. „Das war mal für zwei Jahre verschwunden, aber der Stress“, sagt sie. Der Stress.

Die Zwangsversteigerung ihres Hauses wurde 2013 angeordnet – seitdem kämpfen F.’s dagegen. Ihr Mann ist dement und hat Alzheimer, konnte deshalb irgendwann in seinem Beruf als freiberuflicher Bauingenieur nicht mehr arbeiten.
„Und bei ihrem Kredit von der Bausparkasse sind sie schlecht beraten worden“, sagt ihr Anwalt Wolfgang Bauer.

Jahrelang zahlten sie im Grunde immer nur die Zinsen ab – und tilgten vom Kredit selbst nichts. Die Forderung der Bausparkasse betrug 170 000 Euro – und ein solcher Gläubiger kann nach einigen Mahnungen sofort versteigern, ohne Klage.
„Demenz, Alzheimer, Morbus, das gilt alles vor Gericht nichts“, sagt Susanne F. leise. Anwalt Bauer hat in der vergangenen Woche einen Räumungsschutz-Antrag gestellt wegen der Erkrankungen. Amtsgericht und Landgericht wiesen ihn ab.

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Der neue Hauseigentümer Adrian B. steht vor dem Gartentor, als für die F.'s ihr vertrautes Heim zu einem Gebäude wird, das sie nicht mehr betreten dürfen. Er hat die Doppelhaushälfte im Juni bei der Zwangsversteigerung gekauft – laut Bauer für 214 000 Euro, „bei einem Verkehrswert des Hauses von sicherlich 600 000  Euro!“

Es habe schon vor der Versteigerung einen Kaufinteressenten gegeben, dessen Angebot das Begleichen aller Schulden der F.’s und Wohnrecht für zwei Jahre enthielt. „Grundstückseigentümer ist aber der Freistaat“, sagt Bauer, „und der hat keine Genehmigung erteilt für einen Freihandverkauf.“
Also kam die Versteigerung.

B. will mit seiner Frau und den beiden Kindern in das Haus einziehen. „Die Eheleute F. haben heute bestimmt einen der schwersten Tage ihres Lebens“, sagt er. Er sieht mitgenommen aus, seine Augen sind leicht gerötet. „Aber das Recht muss halt auch durchgesetzt werden.“ Den schwersten Koffer trägt er für Susanne F. zum Auto des Anwalts. Er sagt, er habe Kommunikation angeboten, „sogar 15 000 Euro, wenn sie ausziehen. Wir wollten sie auch beim Umzug unterstützen.“

"Niemand will helfen", sagt die Tochter, "ich bin am Ende"

Zum 1. Juni 2017 haben die F.’s einen Platz in einem betreuten Wohnheim, das noch gebaut wird, sagt Tochter Karolin T. Aber wo sie bis dahin unterbringen? „Ich habe mit dem Sozialbürgerhaus gesprochen, Sozialarbeitern. Niemand fühlte sich verantwortlich, niemand will helfen. Ich bin ich am Ende.“ Sie selbst könne die Eltern nicht aufnehmen, weil sie Zuhause ihren querschnittsgelähmten Sohn pflegt. B. habe mündlich zugesagt, dass die Eltern bis zum Frühjahr bleiben könnten – von so einem Versprechen will er nichts wissen: „Wir wären die letzten, die nicht mit sich reden lassen. Aber ich habe da nie ein Entgegenkommen gemerkt.“

Das Ehepaar F. hatte die Zusage für ein Zimmer in einer Notunterkunft – „nicht geeignet“, sagt Anwalt Bauer, „weil die Leute kaum laufen können und ein Zimmer im ersten Stock bekommen haben.“ Die Tochter bezahlt ihnen nun ein Zimmer in einer Pension.

Susanne F. schaut aus dem Autofenster auf ihr ehemaliges Haus, solange es geht, bis das Auto abbiegt.

Sie weint still.

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