Zu wenig Gedenken in München? "Kurt Eisner wird immer wieder vergessen"

München - Eine Erinnerungsperformance für Gustav Landauer, weiße Koffer zur Erinnerung an jüdisches Leben in Neuhausen und alljährlich die Aktion Brandspur zur Erinnerung der Bücherverbrennung durch die Nazis auf dem Königsplatz - der Aktionskünstler Wolfram Kastner ist bekannt für seine Projekte, in denen er sich mit der Zeit des Nationalsozialismus und der heutigen Erinnerungskultur auseinandersetzt.
Aktuell kämpft Kastner mit dem Verein "Das andere Bayern" für einen zentralen Gedenkort für Kurt Eisner und weitere wichtige Personen der Revolution von 1918.
AZ: An diesem Montag jährt sich die Ermordung von Kurt Eisner zum 103. Mal. Herr Kastner, seit Jahrzehnten richten Sie mit dem Kulturverein "Das andere Bayern" an diesem Tag ein Gedenken aus. Was haben Sie für dieses Jahr geplant?
WOLFRAM KASTNER: Kurt Eisner ist ja in der Kardinal-Faulhaber-Straße in der Münchner Innenstadt ermordet worden. Dort werden wir uns am Montag gegen 11 Uhr versammeln und seiner gedenken. Wir werden Kränze niederlegen und vielleicht ein paar Reden halten. Auch die Enkel von Kurt Eisner werden dafür nach München kommen. Und wer weiß, vielleicht kommt ja auch OB Dieter Reiter vorbei, um einen Kranz dazuzulegen.

Ein erster Schritt der Stadt München
Hat Oberbürgermeister Dieter Reiter sich denn angekündigt?
Nein, aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Wir versuchen seit 1987, die Stadt München dazu zu bewegen, ihrem ersten Ministerpräsidenten angemessen zu gedenken. Dieses Jahr hat nun die Stadt zumindest die Pflege für das Grab von Eisner übernommen. Das ist ein erster Schritt.
Wer hat sich denn vorher um das Grab gekümmert?
Die Israelitische Kultusgemeinde. Eisners Grab ist nämlich 1933 von den Nazis geschändet worden und seine Urne dann auf der Mauer des Neuen Israelitischen Friedhofs abgestellt worden. Die Israelitische Gemeinde wollte die Urne eigentlich gar nicht, weil Eisner gar kein Mitglied der Gemeinde war, auch wenn er jüdische Wurzeln hatte. Aber sie haben aus Menschenfreundlichkeit trotzdem die Pflege übernommen. Mittlerweile hat die Stadt offiziell die Pflege für das Grab (ein Doppelgrab mit Kurt Landauer, d. Red.) übernommen.
Kritik an der Gedenkkultur
Sie klingen relativ kritisch, was die Gedenkkultur bezüglich Kurt Eisner anbelangt.
Ja, der Mann hat immerhin den Freistaat ausgerufen und die Demokratie in Bayern begründet. Trotzdem wird er immer wieder vergessen. Vor drei Jahren zum Beispiel war die Hundertjahrfeier des Freistaats. Da hat der Ministerpräsident alle möglichen Leute begrüßt, sogar die Wittelsbacher. Die hat er mit "Eure Königliche Hoheit" angesprochen, das ist fast schon verfassungswidrig, wir haben ja keine Hoheiten mehr, die Monarchie ist vorbei. Naja, auf jeden Fall: ein Mensch wurde während dieser ganzen Feier nicht erwähnt und das war Kurt Eisner. Derjenige, der den Freistaat begründet hat! Wie ist das möglich?
Stört sich die CSU an einem demokratischen Sozialisten?
Was meinen Sie, woran das liegen könnte?
Das weiß ich auch nicht so genau. Ich denke, die CSU stört sich daran, dass Kurt Eisner ein demokratischer Sozialist gewesen ist. Und die SPD, die hat sich damals zu Eisners Zeiten eben nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Deswegen ist Eisner ja auch aus der SPD ausgetreten: Weil die Partei den Ersten Weltkrieg mitgetragen und die Kriegskredite unterzeichnet hat, die die Fortführung des Krieges möglich gemacht haben. Und anders als Kurt Eisner war die SPD damals eben auch nicht wirklich für die Einführung der Demokratie. Sie wollte lieber eine parlamentarische Monarchie. Ich könnte mir vorstellen, dass die Partei heute daran nicht so gerne erinnert werden will.
Der Marienhof soll zum Kurt-Eisner-Platz werden
Sie fordern, den Marienhof in Kurt-Eisner-Platz umzubenennen. Wie kam denn der Marienhof zu seinem Namen?
Der heutige Marienhof hat eine lange Geschichte. Im Mittelalter stand dort die erste Synagoge Münchens. Die wurde im 15. Jahrhundert bei antisemitischen Pogromen zerstört. An ihre Stelle wurde dann eine Marienkapelle gebaut. Und nach dieser Kapelle wurde nach dem Zweiten Weltkrieg der vorher dicht bebaute Platz benannt. Diesen Platz im Herzen von München in Kurt-Eisner-Platz umzubenennen, das wäre doch eine wirklich angemessene Form des freiheitlichen demokratischen Gedenkens!