Zu Hofe mit der Kammerzofe
Stilecht durch die Münchner Residenz: Eine neue Führung gibt Einblicke in das kurfürstliche Leben anno 1778. Und ganz nebenbei lernt man Hofknicks und Diener.
Die Fassade ist eingerüstet, innen sind einige Bereiche der Residenz nicht zugänglich. „Umbauarbeiten“, erklärt Kammerzofe Babette Bichler und seufzt. „Ach, wir wissen alle nicht, wie das noch enden soll.“
Ja, es sind schwierige Zeiten, in denen Frau Bichler, die eigentlich Claudia Neumaier heißt, im historischen Gewande die Besucher einer neuen Residenz-Führung begrüßt (siehe Kasten). „Zu Hofe mit der Kammerzofe“ heißt das Motto, und wir schreiben das Jahr 1778. Kurfürst Maximilian III. Joseph ist vor wenigen Monaten gestorben, und zwar kinderlos, jetzt soll Bayern an die Pfälzer fallen. „Und dieser neue Kurfürst will hier alles neu machen, deshalb ist alles in Aufruhr“, sagt Babette Bichler, die sich selbst als die Zofe der verwitweten „armen, armen“ Kurfürstin vorstellt.
Viel Arbeit gibt es also in der Residenz – und deshalb sind auch neue Stellen frei. Als Stallknecht, Rübenputzer oder Kammerdiener. Die Überraschung: Wir, die ahnungslosen Teilnehmer der Führung, haben uns um diese Stellen beworben. Sagt zumindest die Zofe. Und die will jetzt sehen, ob wir geeignet sind.
Beim ersten Test, der Kleidung, schneiden wir schon einmal schlecht ab. Die Frauen tragen weder züchtig bodenlange Röcke noch Kopfbedeckung und die Männer haben – Babette Bichler ist der Ohnmacht nahe – unanständig lange Hose an. Die reichen im Jahr 1778 nur bis zum Knie. Von den fehlenden Perücken gar nicht zu reden.
Wie geht man nur die Treppen hoch?
Auch bei der Frage, wie man anno dazumal eine Treppe richtig ersteigt, versagen wir auf ganzer Linie. Frau Bichler erteilt Nachhilfe-Unterricht. „Die Damen raffen ihren Rock nicht vorne, sondern an der Seite, damit man die Füße nicht sieht“, klärt sie auf. Und die Männer? Die müssen, sofern sie einen Degen tragen, seitlich die Treppe erklimmen. Damit die Waffe nicht klimpert.
Nach dieser ersten Einführung in die Hof-Etikette geht es in den Grottenhof, jenen kleinen Lustgarten, den Herzog Wilhelm V. Ende des 16. Jahrhunderts anlegen ließ. Knapp 200 Jahre später, eben um das Jahr 1778, erfüllt der Hof noch einen anderen Zweck. Hierher werden die Speisen getragen, um auszukühlen. „Warme Speisen sind ungesund, das weiß doch jeder“, sagt die Zofe. „Auch unser Hof-Medicus sagt, dass durch kalte Getränke und heiße Speisen die Körpersäfte durcheinander geraten.“ Das darf nicht passieren, deshalb wird in jener Zeit zu Hofe nur kalt gespeist.
Apropos kalt. Eben dieses Gefühl stellt sich ein, betritt man das Antiquarium, den ältesten Raum der Residenz. Ein riesiger Saal, den Herzog Albrecht V. 1571 erbauen ließ, um seine Sammlung römischer Kaiserbüsten unterzubringen, und der auch noch heute ziemlich ungemütlich ist. Albrechts Nachfolger haben zwar einen Kamin einbauen lassen – aber eben nur einen. Strategisch günstig steht diese Feuerstelle auf der Empore, auf der sich der Herrscher, nun mit warmem Rücken, aufzuhalten pflegte, wenn er den Saal für Feste oder die so genannte Offene Tafel nutzte.
Die Dienerschaft spechtete auf die Offene Tafel
Bei Letzterem kommt die Zofe ins Schwärmen. „Die ganze Dienerschaft freut sich auf dieses Ereignis, das aber leider nur höchstens ein Mal im Jahr stattfindet“, sagt sie. Folgendes spielt sich bei der Offenen Tafel ab. Die wichtigsten Bürger der Stadt sind in den Saal geladen, der Fürst sitzt huldvoll auf der Empore und lässt sich ein Mahl auftragen. 30 bis 40 Gänge etwa. Die Bürger dürfen zusehen und sollen sich, so die Theorie, daran erfreuen, dass der Fürst so mächtig und sein Hof so prächtig ist. Zu essen bekommen die Bürger nichts. Die mächtigen Reste des Festmahls dürfen die Diener verspeisen – kein Wunder also, dass sich die Bediensteten auf jede Offene Tafel Freude.
Doch genug geschwelgt. Die Kammerzofe führt zum Ausgang, vorbei an einem kleinen Wasserbrunnen. „Niemals davon trinken“, warnt sie. „Wasser bringt den Tod – aber das wissen Sie ja.“
Über eine Treppe erreichen wir die Privatgemächer des Kurfürsten-Paares. Eigentlich undenkbar, dass niedere Diener diese Räume betreten dürfen, doch da der alte Kurfürst ja tot ist und der neue noch nicht da, macht die Zofe eine Ausnahme.
Interessant ist vor allem ein kleines, schmuckloses Zimmer, das so genannte Blaue Kabinett.
Der Puder flog in großen Wolken
Hier erhält die First Lady Bayerns modisch gesehen den letzten Schliff – also den Perücken-Puder. Der muss – ganz wichtig – aus Reismehl bestehen. „Klebt weniger“, so die Zofe. Ist die Decke abgehangen, zur Dreckverminderung, die Kurfürstin eingehüllt in einen Schutzmantel und mit Gesichtsmaske ausgestattet, beginnt das Werk. Mit einer Handpumpe wird das Mehl an die Decke geblasen, auf dass es von dort sanft nach unten rieselt. „Jedes Mal eine Riesensauerei“, flüstert die Zofe. Laut darf sie so etwas natürlich nicht sagen.
„Warum bekam sie das Mehl denn nicht direkt auf den Kopf gestreut“, fragt einer aus der Gruppe. So viel Unkenntnis! Babette Bichler schüttelt den Kopf. „Das Mehl würde doch klumpen. Und wie sähe das wohl aus?“
Mozart hatte keine Chance
Weiter geht’s nun in die Privatgemächer des verstorbenen Kurfürsten. Hier, im ersten Vorzimmer, erinnert sich die Zofe an eine denkwürdige Begegnung im Jahre 1777. Ein junger Komponist bat bei Maximilian III. Joseph um eine Anstellung. „Ich würde München bestimmt Ehre machen“, so der Musiker. Dieses Argument beeindruckte den Kurfürsten nicht, zumal er gerade ziemlich unter Zeitdruck war – er wollte zur Jagd. „Es ist keine Vacatur da“, beschied er Wolfgang Amadeus Mozart, und zog von dannen.
Kurfürstliche Hobbys
Die Jagd war wichtig. „Mit was sollten die Herrscher auch sonst ihre Freizeit ausfüllen?“, sagt die Zofe. Musik war eines der wenigen „standesgemäßen“ Hobbys, mit denen sich ein Kurfürst beschäftigen konnte. Drechseln ein anderes. „Drechseln war das einzige Handwerk, das ein Prinz damals erlernen durfte“, erzählt Frau Bichler. Und der Kurfürst war ein großer Drechsler. In den Repräsentationsräumen hängt eines seiner vielen Werke an der Decke. Ein Kronleuchter – einer von geschätzten 100. „Irgendwann wussten wir gar nicht mehr, wohin mit den Leuchtern.“
Apropos ungenutzte Möbel. Das prächtige Bett im Parade-Schlafzimmer dient auch nur der Repräsentation. „Alle Herrscher Europas haben so ein Bett“, sagt die Zofe. „Deshalb hat auch der Kurfürst eins.“
Unser Rundgang neigt sich dem Ende zu. Babette Bichler führt uns in die Ahnengalerie, und zum letzten Test. Verbeugen und Knicksen steht auf dem Programm. Das klappt mehr schlecht als recht, trotz mehrmaliger Versuche. Unsere Zukunft als Diener bei Hofe steht also in den Sternen. Beatrice Oßberger
Information: Residenz, Max-Joseph-Platz 3, Residenz-Museum und Schatzkammer sind täglich geöffnet von 9 bis 18 Uhr, Kombikarte: 9 Euro. Wegen der Sanierung des Königsbaus können derzeit bestimmte Räume wie die Prunkappartements und die Nibelungensäle nicht besichtigt werden. Infos dazu unter: www.residenz-muenchen.de
Führung „Zu Hofe mit der Kammerzofe": Immer sonntags, 14 Uhr, Ticket: 17 Euro. Anmeldung: Weisser Stadtvogel, Telefon: 29169765, www.weisser-stadtvogel.de
Mehr Führungen der Bayerischen Schlösserverwaltung:
19. April, 1 Uhr. Das Cuvilliés-Theater. Raumkunst des Rokoko. Treffpunkt an der Theater-Kasse, zu zahlen ist nur der reguläre Eintritt.
19. April, 14 Uhr. Schätze der Renaissance: Die Münchner Schatzkammer, Treffpunkt im Foyer, zu zahlen ist nur der reguläre Eintritt.
26. April, 14 Uhr. Drachen, Tiger, Ungeheuer – die Chinabegeisterung am bayerischen Hof. Treffpunkt im Foyer, zu zahlen ist nur der reguläre Eintritt.
2. Mai, 14 Uhr. Der Hofgarten. Treff im Foyer Residenzmuseum, Ticket: 3 Euro.
Weitere Themenführungen unter www.residenz-muenchen.de