Zschäpe-Aussage: Die Qual des Wartens

Die Aussage der NSU-Hauptangeklagten Beate Zschäpe verzögert sich immer weiter. Für die Hinterbliebenen ist diese Situation äußerst belastend. Stephan Lucas, Anwalt der Kinder des NSU-Opfers Enver Simsek im AZ-Interview.
von  Natalie Kettinger
Hofft endlich auf Antworten: Semiya Simsek bei der Einweihung eines Mahnmals zur Erinnerung an die NSU-Opfer in Nürnberg. Kleines Bild: Der Münchner Strafverteidiger Stephan Lucas vertritt die Kinder des NSU-Opfers Enver Simsek.
Hofft endlich auf Antworten: Semiya Simsek bei der Einweihung eines Mahnmals zur Erinnerung an die NSU-Opfer in Nürnberg. Kleines Bild: Der Münchner Strafverteidiger Stephan Lucas vertritt die Kinder des NSU-Opfers Enver Simsek. © dpa/ho

Nach mehr als einer Woche Unterbrechung wird heute der NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht (OLG) fortgesetzt. Allerdings verzögert sich die Aussage der Hauptangeklagten Beate Zschäpe weiter – wie so vieles im Münchner Terror-Verfahren. Für die Hinterbliebenen der zehn Opfer wird das Warten zunehmend zur Belastung.

Die AZ hat darüber mit Stephan Lucas gesprochen, der die Kinder des ermordeten Nürnberger Blumenhändlers Enver Simsek († 38) vertritt.

AZ: Herr Lucas, wie haben Semiya Simsek und ihr Bruder Kerim auf die Ankündigung reagiert, dass Beate Zschäpe sich nun endlich äußern wird?

STEPHAN LUCAS: Sehr aufgewühlt. Schließlich fiebert die ganze Familie seit Prozess-Beginn darauf hin, dass die Hauptangeklagte selbst Stellung bezieht. Die Angehörigen wollen endlich wissen, warum ihr Vater und Ehemann sterben musste. Im Moment sind meine Mandanten sehr unruhig, weil sie sich natürlich fragen, was das für eine Erklärung sein wird, und ob sich die Angeklagte womöglich sogar selbst äußern wird.

Es wurde angekündigt, Beate Zschäpe werde sich „umfassend“ einlassen. Mit welchen Inhalten rechnen Sie?

Hier kann ich nur spekulieren. Da es für ein Geständnis bislang keine Anzeichen gibt, wird es der Verteidigung vermutlich darum gehen, die Rolle Zschäpes in ein für sie günstiges Licht zu rücken. Die Verteidigung könnte womöglich versuchen, Zschäpe mit Blick auf die Mordserie nicht als Täterin, sondern „nur“ Teilnehmerin dastehen zu lassen oder sogar herauszuarbeiten versuchen, dass sie nicht einmal in strafbarer Weise an den Morden beteiligt war.

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Die Einlassung ist verschoben worden – wie so vieles im NSU-Prozess. Wie geht Ihre Mandantschaft mit dieser erneuten Verzögerung um?

Das Gericht muss sich bei der Bescheidung von Anträgen die Zeit nehmen, die es für eine saubere Prozessführung benötigt. Aus juristischer Sicht ist keine der bisherigen Unterbrechungen der letzten zweieinhalb Jahre zu beanstanden. Das sehen auch Semiya und Kerim Simsek so. Nur vermag das nichts daran zu ändern, dass dieses erneute Warten für die beiden äußerst belastend ist.

Die erneute Verschiebung der Aussage – mindestens bis zum 8. Dezember– rührt allerdings daher, dass der neue Anwalt von Frau Zschäpe, Hermann Borchert, seinen Urlaub offenbar nicht verschieben möchte. Was sagen Sie und die Simseks dazu?

Ein Verteidiger ist mit Blick auf seine Strategie niemandem Rechenschaft schuldig. Umso mehr wundert es mich, dass und nicht zuletzt wie, die Verschiebung der Einlassung Zschäpes von der Verteidigung erklärt wird: mit dem Urlaub von Rechtsanwalt Borchert. Er ist in dem Prozess bislang noch nicht aktiv in Erscheinung getreten, arbeitet aber offensichtlich mit dem relativ frisch als Rechtsanwalt zugelassenen Kollegen Grasel in derselben Kanzlei. Man wird sich da seinen Teil denken dürfen.

Wundert Sie selbst Beate Zschäpes „Kurswechsel“?

Nein. Mein Kollege Jens Rabe und ich haben immer schon gesagt: Der Tag wird kommen, an dem sie sich äußert. Irgendwann will derjenige, um den es geht, nicht mehr nur zuhören, was andere über ihn sagen, sondern selbst ein Statement abgeben. Dass sich die Angeklagten positionieren wollen, ist ein ganz normaler Vorgang bei großen Prozessen.

Verteidiger Mathias Grasel will Nachfragen des Senats zuzulassen.

Ich bin gespannt, wie das konkret ablaufen soll. Ich kann mir jedenfalls nur schwer vorstellen, dass der Verteidiger für seine Mandantin selbst Rede und Antwort stehen wird. Wie soll er das machen? Was soll er sagen, wenn das Gericht fragt: Haben Sie dieses oder jenes gewusst? Zudem muss der Anwalt empfindlich darauf achten, vor Gericht nur Dinge zu sagen, die auch tatsächlich stimmen. Das wäre nur schwer zu schultern. Für mich gibt es deshalb nur zwei Möglichkeiten:

Entweder der Verteidiger bespricht sich nach jeder Frage draußen mit seiner Mandantin – oder sie antwortet selbst. Meiner Ansicht nach stehen die Chancen 50:50, dass Zschäpe selbst spricht. Ich würde es mir für Semiya und Kerim Simsek so sehr wünschen. Schade nur, dass keine Fragen der Nebenklage beantwortet werden sollen. Das lässt sehr tief blicken.

Wie beurteilen Sie und die Familie Simsek den bisherigen Verlauf des Verfahrens?

Der Prozess ist solide geführt. Und eines der wichtigsten Ziele unserer Mandanten konnte bereits erreicht werden: Es steht aufgrund der Zeugenaussagen bereits fest, dass Enver Simsek vollkommen unschuldig zum Opfer wurde. Die vielen Vorwürfe, die bei den Ermittlungen immer wieder laut wurden, er habe sich selbst strafbar gemacht, sei womöglich Drogendealer gewesen, haben sich allesamt als falsche, ungeheuerliche Beschuldigungen herausgestellt. Das Urteil selbst bleibt abzuwarten und ist schlichtweg immer noch nicht einschätzbar.

Welche Auswirkungen könnte ein Geständnis der Hauptangeklagten haben?

Vielleicht würde es den weiteren Prozessverlauf ein wenig abkürzen, weil dann auf gewisse Zeugen verzichtet werden könnte. Wir sprechen da nur wirklich über etwas, das selbst in weitester Ferne nicht zu erkennen ist.

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